Rasheed, Leila
Gastgeberin in London, und Ada wusste, wie sehr sich Fiona darum bemüht hatte, eine Einladung zu einer ihrer exklusiven Teegesellschaften zu erhalten. Wenn Mrs Verulam bereit wäre, Charlotte und sie bei Hofe zu präsentieren, wäre ihr Einritt in die vornehme Welt gesichert.
Als der Lakai Ada aus der Droschke half, wurde sie auf eine Kinderstimme aufmerksam. Sie sah sich um. Da stand, schmutzig und barfuß, ein kleines Mädchen und lächelte mit schwarzen Zähnen.
»Penny, Miss?«
Die Kleine war so dünn. Ada schnürte es das Herz zusammen. Sie griff nach ihrem Täschchen, erinnerte sich aber zu spät, dass ihr Geldbeutel nicht darin war. Den hatte Fiona eingesteckt.
»Weg! Verschwinde!« Der Lakai verscheuchte das Kind.
»Nein … warte …«, begann Ada.
»Ada, jetzt komm schon!«, rief Charlotte und zog sie mit sich. Ada stolperte und wäre auf der Treppe fast gestrauchelt.
»Aber …«
»Also wirklich, Ada, alles zu seiner Zeit.«
»Sie war so dünn!«, zischte Ada, denn sie hatten schon die Vorhalle erreicht und wurden von einem ganzen Lakaienspalier zum Salon gewiesen.
»Willst du jedem Bettler in London helfen?«, gab Charlotte zurück, bevor die Flügeltüren aufgingen und das dumpfe Stimmengewirr, unterbrochen von Gelächter, zu ihnen herausdrang.
»Meine liebe Lady Westlake!« Die alte Dame, die ihnen entgegenkam, war schlank und drahtig und mit Diamanten wie überkrustet. Sie hielt einen riesigen Fächer in der Hand, und es gelang ihr tatsächlich, auf Fiona, die einen guten Kopf größer war, herabzublicken. »Meine besten Wünsche für Sie! Ich habe gehört, die Hochzeit war entzückend. Charlotte!« Sie nickte Charlotte zu, die mit einem einfältigen Lächeln dastand, wie Ada es an ihr nur in Gesellschaft junger Männer gesehen hatte. »Und Sie müssen Lady Ada sein.«
Ada errötete unter dem durchdringend scharfen Blick.
»Kommen Sie, meine Liebe.« Lady Verulam winkte sie mit einem krummen Finger zu sich und musterte sie von oben bis unten. »Ich habe Ihre Mutter gekannt. Sie sehen ihr sehr ähnlich.«
Ada lächelte und errötete noch heftiger; ihr fiel nichts ein, was sie dazu hätte sagen können. Sie hätte gern mehr über ihre Mutter erfahren, aber es schien nicht der richtige Moment, um nachzufragen, wenn Fiona daneben stand. Außerdem hatte sich Lady Verulam bereits abgewandt. »Kommen Sie mit. Ich muss Sie unserem Poeta laureatus vorstellen – haben Sie den schon kennengelernt?«
Ada saß allein an einem Teetischchen und fühlte sich so einsam wie der Lakai, der einer Statue gleich in der Ecke stand. Das Gassenkind, das sie um Geld angebettelt hatte, wollte ihr nicht aus dem Kopf gehen. Das Mädchen war aus dem dunklen Durchgang neben dem Haus geschlüpft. Ada musste an ihr neues Kleid denken und daran, wie viel es gekostet hatte. Wäre es für Ravi wirklich eine Freude, sie darin zu sehen? Sie war sich nicht mehr so sicher. Wie viele Pennys hatte sie für das Kleid ausgegeben? Wie viele brauchte man, um ein Kind einen Tag lang satt zu bekommen?
Charlotte stand inmitten einer Schar von Mädchen, die kichernd einen berühmten Forschungsreisenden umringten und Schreie ausstießen, wenn er von Tiger- und Elefantenjagden erzählte. Fiona und Lady Verulam unterhielten sich leise und zogen dabei auffallend oft die Augenbrauen hoch.
»Beobachten Sie die beiden, wie sie gnadenlos ihr Urteil fällen?«, fragte eine leise Stimme neben ihrer Schulter. Ada sah erschrocken hoch und blickte in das kluge, listig lächelnde Gesicht eines elegant gekleideten Mädchens. »Ich kann Ihnen versichern, dass gerade der Ruf einer Person genauso elend zugrunde geht wie bei dem Angeber da drüben die armen Viecher.« Sie nickte zu dem Forschungsreisenden hinüber.
Ada klirrte verlegen mit ihrer Teetasse.
»Lady Verulam scheint sehr freundlich«, sagte sie zweifelnd.
»Aber gewiss – wenn sie will. Darf ich mich zu Ihnen setzen?« Das Mädchen nahm Platz, ohne Adas Nicken abzuwarten. »Aber die ganze Szenerie hat etwas sehr Oberflächliches, finden Sie nicht? Oberflächlich und gleichzeitig grausam. Unser heldenhafter Großwildjäger passt gut dazu.«
»Ich muss gestehen, von dem war ich ein wenig gelangweilt«, räumte Ada ein. Die Offenheit des Mädchens weckte ihre Neugier; sie fand sie sympathisch.
»Natürlich. Das ginge jedem so, der auch nur den geringsten Funken Intelligenz besitzt. Und ich weiß, dass Sie intelligent sind.« Sie lächelte. »Mein Bruder hat mir von Ihnen
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