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Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)

Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Gustmann
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sich die Zähne, die noch halbwegs
in Ordnung waren und nur im hinteren Bereich die eine oder andere Krone aufwiesen.
Er fletschte die vordere Zahnreihe und ermahnte sich, einen Zahnarzt zwecks einer
professionellen Zahnreinigung und einer allgemeinen Kontrolle aufzusuchen. Das Nikotin
hatte hässliche Spuren in den Zahnzwischenräumen hinterlassen. Er drückte eine Ibuprofen
600 aus der Packung und spülte sie in den Magen zum Whiskey.
    Dann kroch
er unter die Daunendecke, stellte den Wecker auf sieben Uhr und griff nach der Kladde
von Emmi auf seinem Nachttisch. Der schreibenden und nun auch sprechenden Emmi,
die ihm heute sympathischer erschien als Tage zuvor. Nur an den strengen Geruch
der alten Dame und der ganzen Einrichtung, in der sie logierte, würde er sich nie
gewöhnen. Er rechnete damit, in den nächsten Tagen sowieso nichts riechen zu können,
und war diesbezüglich nicht undankbar.
    Er schlug
das Buch dort auf, wo er geendet hatte, und begann zu lesen.
     
    Als wir in Bremen am Bahnhof
ankamen und ausstiegen, schien Schwester Hildegard geschwächt zu sein. Sie hustete
und schleppte ihren Koffer über den Bahnsteig. Oft musste sie stehen bleiben und
sich ausruhen, tief durchatmen, bevor sie für wenige Meter weitergehen konnte. Ich
machte mir Sorgen um sie, wie sich später herausstellen sollte, sehr zu Recht. Am
Ausgang wartete bereits ein schwarzer Wagen, der uns zu unserem Haus bringen sollte.
Es war ein ähnliches Heim wie jenes, in dem ich zuletzt gewohnt hatte. Es lag mitten
im Grünen und hatte eine schöne Auffahrt.
    Kaum angekommen,
ging alles sehr schnell. Schwester Hildegard brach auf der Treppe zum Haus zusammen.
Ich höre ihr Husten noch heute, dieses Pfeifen darin, dieses Röcheln. Ein Arzt eilte
herbei und stützte sie. Er sorgte sich rührend um sie, während eine andere Schwester
mich grob am Arm fasste, mir den Koffer mit meinen Habseligkeiten abnahm und mich
in ein Zimmer sperrte. Bevor man wusste, wie man mich einzuschätzen hatte, schloss
man mich zur Sicherheit erst mal in einem Einzelzimmer ein. Man wollte genaue Untersuchungen
anstellen. Es sollte nicht das letzte Mal gewesen sein , dass
ich wie ein Tier eingesperrt war.
    Die ersten
Tage vergingen, ohne dass ich Nachricht von Schwester Hildegard bekam. Ich vermisste
sie, sie war wie eine Mutter für mich, wahrscheinlich, weil ich meine eigene Mutter
nie kennengelernt hatte. Ich blieb in meinem Zimmer, und von Zeit zu Zeit kam ein
anderer Arzt als der, der sich um Hildegard gekümmert hatte, zu mir. Er mochte mich
nicht. Er ärgerte sich darüber, dass ich auf seine Fragen nicht antwortete. Er tobte
und war das eine oder andere Mal so wütend, dass er mir ins Gesicht schlug. Ich
weinte nicht und er tobte noch heftiger. »Nur ein Tier reagiert so«, sagte er.
    »Antworte
gefälligst, wenn ich dich etwas frage!« Doch ich hatte kein Interesse daran, mit
diesem Mann zu sprechen. Er war böse. Also schwieg ich. An einem Vormittag, ich
weiß nicht mehr, an welchem Tag, wurde ich aus meinem Zimmer geholt und zu Schwester
Hildegard mitgenommen. Zunächst erkannte ich sie kaum wieder. Sie war bleich
und dünn und konnte kaum reden. Als sie mich sah, streckte sie den linken Arm nach
mir aus und fing an zu weinen. »Meine kleine Emmi«, sagte sie. So hatte sie mich
noch nie genannt. Ich liebte es, wie sie es sagte, und ich wünschte
mir, dass sie nie aufhören würde, so mit mir zu reden, doch es war das letzte Mal,
dass sie überhaupt mit mir sprach. Ich müsse jetzt stark sein und ich dürfe sie
nie vergessen, sagte sie zu mir. Sie hielt meine kleine Hand fest umschlossen, richtete
sich mit großer Mühe auf und wandte sich an den Arzt, der sie behandelte. »Versprechen
Sie mir, dass Sie sich um Emmi kümmern. Sie ist ein liebes Kind, nur ein
wenig launisch. Und sie spricht, wenn sie es möchte. Mit mir hat sie immer geredet.«
Der Arzt drehte sich zu mir um und blickte mir finster in die Augen. Sein Blick
erschreckte mich und ich wich zurück.»Stimmt das, was Schwester Hildegard sagt?
Kannst du reden oder willst du nur nicht? Bist du launisch oder willst du uns ärgern?«
Ich schüttelte den Kopf, wusste nicht, auf welche Frage ich zuerst antworten sollte,
noch dazu, weil Schwester Hildegard mir einen flehenden Blick zuwarf, als wollte
sie mir sagen: Rette dein Leben und sprich. Doch ich schwieg. Ich brachte keine
Worte heraus, die es wert gewesen wären, an ihn gerichtet zu sein. Mein Leben
zu retten, davon verstand ich nichts, und

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