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Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)

Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Gustmann
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Ritzen,
nichts rührte sich. Plötzlich kam ihm ein Gedanke. Er stand auf und stützte sich
mit beiden Händen an der Vorderseite der grünen Schreibfläche auf. Sie gab nach
und ließ sich einige Millimeter eindrücken. In dem Moment, als er losließ, löste
sich die Arretierung und der Deckel eines kompletten Faches klappte auf.
    Was er dort
im Inneren fand, verschlug ihm den Atem. Endlich wähnte er sich der Lösung des Falles
ein großes Stück näher. Er könnte Schöller, dem Armleuchter, beweisen, wer der cleverere
Bulle war, und auch sein Chef Lorenz würde sich freuen, sofern die Aufschriften
auf den Akten, die er dort fand, hielten, was sie versprachen.
     
    *
     
    Martin Pohlmann stand abrupt von
dem Schreibtischstuhl in Kellers Büro auf. Er hatte gefunden, was andere übersehen
hatten, und sein alter Spürsinn, den er zwei Jahre lang im Müßiggang ersoffen hatte,
war auferstanden. Zügig ging er zur Tür und schloss sich ein. Die Jalousien waren
zugezogen, sodass er sich in Ruhe den Unterlagen, die er gefunden hatte, widmen
konnte. Das geheime Fach beherbergte drei dicke, abgegriffene Akten, die an die
50, 60 Jahre alt sein mochten. Jede von ihnen trug einen Namen auf der Vorderseite.
Den ersten Namen kannte er bereits: Gerhard Strocka. Der zweite Name lautete Franz
Wegleiter und der dritte Richard Fürst.
    Martin schlug
die erste Akte auf und fand Dutzende Fotos eines Mannes, der einen hohen Rang bei
der SS innehatte. Wie im Fieber blätterte Martin die Akte durch, fand Einträge zum
Lebenslauf des Exnazis Strocka, polizeiliche Akten mit offiziellen Stempeln des
Verfassungsschutzes sowie einen Eintrag, der ihn mit einem Schlag hellwach werden
ließ:
    1. Gerhard
Strocka, Vater von Hedwig Strocka, geboren am 15. April 1940 im Lebensbornheim Steinhöring,
gezeugt mit Hannelore Schmidt.
    2. Gerhard
Strocka, Vater von Heinrich Strocka, geboren am 11. September 1940 im Lebensbornheim
Steinhöring, gezeugt mit Liselotte Stratmann.
    Martin blätterte
weiter. Er wusste, dass er hier endlich die Akten in den Händen hielt, die den Lichtdimmer
in diesem ominösen Fall gewaltig aufdrehen würden. Dann las er den Namen Emilie
und erstarrte. Schnell blätterte er zurück. Vier Seiten zurück, eine vor, da war
sie wieder:
    Emilie Braun,
geboren als Hedwig Strocka am 15. April 1940 in Steinhöring. Umzug nach Hohenhorst
bei Bremen am 21. August 1944.
    Martin gab
sich Mühe, das Gekritzel und die verblichenen Schreibmaschineneinträge zu entziffern.
Er fand einen Eintrag, der ihm endgültig Klarheit verschaffte.
    Geheimsache
Strocka/Braun. Eltern Braun liquidiert. Neue Identität Aktenzeichen Z44/330-W. Verlegung
Strocka/Braun wegen geistigen Schwachsinns vom Reichsausschuss zur wissenschaftlichen
Erfassung erb- und anlagebedingter schwerer Leiden empfohlen. Euthanasie angeraten.
Kinderfachabteilung Lüneburg. Bezugsschwester Hildegard Unger am 30. August 1944
an Pertussis verstorben.
    Martin ließ
die Akte herabsinken und das Gelesene einsinken. Nur wenige Türen weiter lebte eine
Frau, die er eine Stunde zuvor besucht hatte, mit der er Gedanken über das Leben
und den Tod ausgetauscht hatte, die sich danach sehnte, das Meer zu sehen. Und eben
diese Emilie Braun fand er in einer uralten Akte wieder, in der sie als gebürtige
Hedwig Strocka genannt wurde. Somit die Tochter des Nazis, der während des Prozesses
zwei Jahre zuvor getötet worden war, und zwar, wie Emilie Braun in ihrer Kladde
aufgrund eines angeblichen Briefes von Keller behauptet hatte, von ihrem Therapeuten
Professor Hans Keller. Keller wusste also, wann auch immer er dies herausgefunden
hatte, dass der Nazi Gerhard Strocka der Vater seiner Patientin Emilie Braun war. Ob sie es auch wusste , fuhr es Martin blitzartig durch den Sinn. Sollte dem
so sein, würde sie ein Mordmotiv gehabt haben und der im Wahn gesprochene Satz,
dass es ja auch sie gewesen sein konnte, die den Nazi erschlagen hatte, gewann an
Bedeutung. Er erinnerte sich genau daran, dass sie bei ihrer ersten Begegnung mit
ihm Derartiges hatte fallen lassen.
    Zittrig
öffnete er die Akte erneut und las weiter. Der Kopf hämmerte, als er herausfand,
was gegen Kriegsende mit Hedwig Strocka alias Emilie Braun hätte geschehen sollen:
Man hatte die Auslöschung ihrer Existenz beschlossen, doch sie hatte, aus welchem
Grund auch immer, überlebt. Nun, 66 Jahre später, gab es möglicherweise wieder jemanden,
der dieselben Wünsche hegte und ihren Tod herbeisehnte. Dass diejenigen von

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