Ratgeber & Regenten 02 - Das Wehr
ansah, führte Procopio ihn zu einer Nische, die mit einem Vorhang abgeteilt war. Er öffnete ihn und gab den Blick frei auf ein großes, ovales Fenster. Auf der anderen Seite befand sich ein Schlafzimmer, das an einen Rosengarten in voller Blüte erinnerte. Rosafarbene Seide hing vor den Fenstern und lag über dem breiten Bett, auf dem sich eine Frau mit schwarzem Haar räkelte. Eine große Weinflasche stand auf einem flachen Tisch gleich neben dem Bett, außerdem zwei Kelche.
Procopio schnalzte geringschätzig mit der Zunge. »Es sieht aus, als hätte Miohari wieder eine lange Nacht hinter sich. Dennoch ist es Zeit, daß sie erwacht.« Er klopfte an das Glas.
Die Frau regte sich und setzte sich auf. Sie sah verschlafen aus und brauchte einen Moment, ehe sie aufstand. Sie ging zum Fenster und setzte sich davor auf einen Hocker. Sie nahm Cremetiegel von dem kleinen Tisch vor ihr, beugte sich vor und begann, ihr Gesicht zu betupfen. Nichts ließ darauf schließen, daß sie die beiden Männer sah, obwohl sie keine Handbreit von ihnen entfernt zu sein schien.
»Eine ehemalige Geliebte«, sagte Procopio beiläufig. »Hübsch, aber nicht magiebegabt. Für sie ist das Portal nur ein vergoldeter Spiegel. Sie sieht nur, was sie zu sehen erwartet. Aber wir beide nehmen die Magie und die Wirklichkeit dahinter wahr.«
»Faszinierend«, murmelte Ameer Tukephremo. Seine schwarzen Augen wanderte von der reizenden Frau zurück zu seinem Gastgeber. »Ihr macht deutlich, was Ihr wollt, Halruaaner.«
»Die Magier Halruaas werden sehen, was sie zu sehen erwarten. Was sich wirklich hinter der Ostgrenze abspielt, bleibt völlig Euch überlassen. Ich werde es natürlich wissen, aber ich werde es für mich behalten, solange ich es für vertretbar halte.«
»Ihr würdet die Sicherheit Eurer eigenen Grenzen gefährden?« fragte der Mulhorandi ungläubig, woraufhin Procopio spöttisch lächelte. »Ich glaube, wir werden mit allem klarkommen, was Ihr gegen uns auffahrt.«
»Und warum tun wir das dann?«
»Ganz einfach. Unser König Zalathorm ist als Kampfmagier an die Macht gekommen, und er hat den Thron seit so vielen Jahren inne, weil er seitdem jede große Bedrohung vorhergesehen und abgewendet hat.«
»Ah! Wer weiß, wie lange dem noch so ist, wenn er eine Bedrohung übersieht, die ein anderer Magier erkannt hat?« fragte Ameer mit verschlagenem Lächeln.
Der Erkenntniszauberer breitete die Arme aus und hielt die Handflächen nach oben, um Ahnungslosigkeit zu imitieren. »Wie kann ich wissen, was kommt? Die Geschichte hat ihre Zyklen, die vergehen und dann wiederkehren.«
Der Mulhorandi nickte und hob gedankenverloren die Hand. In der Luft neben ihm tauchte aus dem Nichts eine Pfeife auf. Er nahm sie und zog daran, dann blies er mehrere Rauchringe in die Luft – Ringe, die kunstvolle, von Runen überzogene Muster umgaben. Zweifellos handelte es sich um kleinere Zauber, vermutlich zu dem Zweck, seine Gedanken und Absichten zu verschleiern. Die Technik war interessant, und es war eine subtile Ablenkung, aber nichts, was sich Procopio aneignen wollte. Er konnte Rivalen Rauch ins Gesicht blasen, ohne seine Zähne zu schwärzen oder Kurzatmigkeit in Kauf zu nehmen.
»Eure Geschichte ist mir nicht völlig fremd«, sagte Ameer Tukephremo schließlich. »Ich weiß, daß jeder, der Halruaa angegriffen hat, geschlagen wurde.«
»Sieg und Niederlage sind keine absoluten Begriffe. Seht her.«
Procopio führte seinen Gast in einen Nebenraum, in dem ein Spieltisch stand, der denen in seinem Landhaus ähnelte: eine detaillierte Miniaturlandschaft mit zerklüfteten Bergen und geröllübersäten Pässen. Er zog einen Stab aus dem Ärmel und klopfte auf den Tischrand. An allen vier Seiten öffneten sich Schubladen, aus denen hunderte winziger, magisch bewegter Spielfiguren sprangen: Soldaten, Kavallerie, wilde Reiter und sogar ein Trio winziger Magier, die auf fliegenden Teppichen saßen. Ameer Tukephremo grinste wie ein kleiner Junge, der ein wundersames neues Spielzeug betrachtete.
»Das ist der Kampf am Sternschlangenpaß«, erklärte Procopio. »Seht zu und lernt.«
Die Miniaturen zogen in die Schlacht. Funken tanzten in der Luft über dem Schlachtfeld, als dem Gegner Zauber entgegengeschleudert wurden. Ein Miniaturfluß färbte sich rot, als heranstürmende Truppen von einer Welle stecknadelgroßer Pfeile getroffen wurden.
»Das sind Crinti!« rief Ameer und zeigte auf eine Schar kleiner berittener Krieger, die ins Tal gestürmt
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