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Rattenkoenig

Rattenkoenig

Titel: Rattenkoenig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Clavell
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vier Nadeln heraus und legte sie in sein Nähzeug zurück. Er wischte den sich ansammelnden Schweiß vom Gesicht und kratzte die juckenden Wanzenbisse. Dann schraubte er den Draht vom Kopfhörer los, drehte sorgfältig die Polklemmen fest und schob ihn in ein besonderes Fach in seinem Prothesengurt, hinter den Hoden. Er knöpfte die Hose zu, legte den Draht zusammen, schob ihn durch die Gürtelschlaufen und verknüpfte ihn. Er suchte den Lappen und wischte sich die Hände ab, wischte dann sorgfältig Staub über die winzigen Löcher im Balken und verstopfte sie und verbarg sie völlig.
    Er legte sich einen Augenblick auf das Bett zurück, um Kraft zu sammeln, und kratzte sich. Als er sich wieder erholt hatte, kroch er geduckt unter dem Netz hervor und ließ sich auf den Boden hinunter. Um diese Nachtzeit machte er sich nie die Mühe, sein Bein anzuschnallen. Deshalb tastete er nur nach seinen Krücken und schwang sich leise zur Tür. Er gab kein Zeichen, als er an Spences Bett vorbeikam. Das war die Regel. Man konnte nie vorsichtig genug sein.
    Die Krücken ächzten, Holz rieb sich an Holz, und zum zehnmillionsten Mal dachte Daven über sein Bein nach. Es bereitete ihm heute nicht mehr so viel Unannehmlichkeiten, obwohl der Stumpf wie die Hölle brannte. Die Ärzte hatten ihm erklärt, der Stumpf müßte bald wieder verkürzt werden. Bereits zweimal war das gemacht worden. Einmal war es eine richtige Operation unterhalb des Knies gewesen; das war 42, als er von einer Mine in die Luft geschleudert worden war. Das zweite Mal war er oberhalb des Knies operiert worden, ohne Betäubung. Bei der Erinnerung daran knirschte er mit den Zähnen und schwor sich, daß er das nicht noch einmal mitmachen würde. Aber das nächste Mal, das letzte Mal, würde nicht allzu schlimm sein. Man hatte hier in Changi Betäubungsmittel zur Verfügung. Es würde das letzte Mal sein, weil dann nicht mehr viel Stumpf übrigbleiben würde.
    »Oh, hallo, Peter«, grüßte er, als er auf der Treppe beinahe über ihn stolperte. »Hatte Sie gar nicht gesehen.«
    »Hallo, Dave.«
    »Schöne Nacht, nicht wahr?« Dave schwang sich vorsichtig die Treppe hinab. »Die Blase macht mir wieder mal zu schaffen.«
    Peter Marlowe lächelte. Wenn Daven das sagte, dann bedeutete es, daß die Nachrichten gut waren. Sagte er: »Ich bin's, muß mal pissen«, so bedeutete es, daß in der Welt nichts geschah. Wenn er sagte: »Meine Därme bringen mich heute nacht um«, so bedeutete das einen schlimmen Rückschlag irgendwo in der Welt. Sagte er: »Halten Sie mir einen Augenblick meine Krücken«, so bedeutete das einen großen Sieg.
    Obwohl Peter Marlowe morgens die Nachrichten im einzelnen erfahren und sie zusammen mit Spence lernen und dann den anderen erzählen würde, wollte er doch immer gern nachts schon hören, wie die Dinge standen. Er setzte sich wieder und sah hinter Daven her, wie er mit den Krücken auf das Pissoir zuschaukelte, empfand Zuneigung für ihn und Achtung.
    Dave blieb stehen, und das Ächzen verstummte. Das Pissoir bestand aus einem in der Mitte geknickten Zinkblech. Daven sah zu, wie sein Urin rieselte, sich auf das niedrigere Ende zuschlängelte und dann in schaumiger Kaskade aus dem verrosteten Auslauf in die große Tonne plätscherte und sich mit dem Schaum mengte, der sich auf der Oberfläche der Flüssigkeit angesammelt hatte. Es fiel ihm ein, daß morgen Sammeltag war. Die Behälter würden weggetragen und zu anderen Behältern gestellt und dann zu den Gärten transportiert werden. Die Flüssigkeit würde mit Wasser vermischt werden, und dann würde man diese Mischung vorsichtig herausschöpfen, Tasse um Tasse, und sie an die Wurzeln der Pflanzen gießen, die von den Männern, die die Lebensmittel für das Lager pflanzten, umhegt und bewacht wurden. Dieser Dünger würde das Grüngemüse, das sie alle aßen, noch grüner machen. Dave haßte Grüngemüse. Aber es war ein Nahrungsmittel, und essen mußte man schließlich.
    Ein Lufthauch kühlte den Schweiß auf seinem Rücken und brachte den salzigen Geruch des fünf Kilometer entfernten, fünf Lichtjahre von Kilometern entfernten Meeres mit sich.
    Dave dachte daran, wie ausgezeichnet das Rundfunkgerät funktionierte. Er war mit sich selbst sehr zufrieden, als er sich erinnerte, wie er mit großer Vorsicht auf der Oberseite des Balkens einen dünnen Streifen herausgehoben und dann darunter eine fünfzehn Zentimeter tiefe Höhlung gegraben hatte. Wie das alles im geheimen gemacht worden war.

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