Rattenkoenig
Haie mit Schlitzaugen und goldenen Nadelzähnen, mit ihren Gewehren und Bajonetten, die Haie, die an seinem Fleisch rissen, bis er gestellt war. Er wehrte sich und flehte sie an, aber sie wollten nicht aufhören, und jetzt war er umzingelt, und Yoshima stieß ihm das Bajonett tief in die Eingeweide. Und der Schmerz war gewaltig. Jenseits allen Todesschmerzes. Yoshima riß das Bajonett aus ihm heraus, und er spürte, wie das Blut aus ihm herausschoß, aus dem gezackten Loch, aus allen Öffnungen seines Körpers, sogar aus den Poren seiner Haut, bis nur noch die Seele in der Hülle zurückblieb. Dann endlich löste seine Seele sich und vereinte sich mit dem Blut des Meeres. Eine gewaltige, ungeheure Erleichterung kam über ihn, unendlich, und er war froh, daß er tot war.
Mac öffnete die Augen. Seine Decken waren schweißgetränkt. Sein Fieber war verschwunden. Und er erkannte, daß er von neuem lebte.
Peter Marlowe saß noch immer an seinem Bett. Irgendwo hinter ihm stand die Nacht. »Hallo, Junge.« Die Worte waren so leise, daß Peter Marlowe sich vorbeugen mußte, um sie zu verstehen.
»Geht es Ihnen besser, Mac?«
»Mir geht es gut, Junge. Das Fieber lohnt sich beinahe, wenn man sich danach so wohl fühlt. Ich werde jetzt schlafen. Bringen Sie mir morgen etwas zu essen.«
Mac schloß die Augen und schlief sofort ein. Peter Marlowe zog die Decken von ihm weg und trocknete die Hülle des Mannes ab.
»Wo kann ich trockene Decken bekommen, Steven?« fragte er, als er den Krankenpfleger erblickte, der durch den Raum hastete.
»Keine Ahnung, Sir«, antwortete Steven. Er hatte diesen jungen Mann schon viele Male gesehen und mochte ihn gut leiden. Vielleicht … aber nein. Lloyd würde schrecklich eifersüchtig sein. Ein anderes Mal. Es hat ja viel Zeit. »Vielleicht kann ich Ihnen helfen, Sir.«
Steven ging zum vierten Bett hinüber und nahm die Decke von dem Mann ab, zog dann geschickt die untere Decke weg und kehrte zurück. »Hier«, sagte er. »Nehmen Sie diese.«
»Und was ist mit ihm?«
»Oh«, machte Steven mit leisem Lächeln. »Er braucht sie nicht mehr. Das Leichenkommando muß jeden Augenblick kommen. Armer Kerl.«
»Oh!« Peter Marlowe blickte hinüber, um nachzusehen, wer es war, aber es war ein Gesicht, das er nicht kannte. »Danke«, sagte er und begann das Bett zu richten.
»Kommen Sie«, sagte Steven. »Lassen Sie das mich machen. Ich kann es viel besser als Sie.« Er war stolz darauf, wie er ein Bett machen konnte, ohne dem Patienten weh zu tun.
»Machen Sie sich jetzt keine Sorgen mehr um Ihren Freund«, tröstete er. »Ich werde dafür sorgen, daß es ihm gutgeht.« Er packte Mac wie ein Kind ein. Er streichelte einen Augenblick Macs Kopf, zog dann ein Taschentuch heraus und wischte die Schweißreste von Macs Stirn. »In zwei Tagen wird es ihm wieder gutgehen. Wenn Sie etwas Essen übrig haben …« Aber er unterbrach sich und blickte Peter Marlowe an, und Tränen sammelten sich in seinen Augen. »Wie dumm von mir. Aber machen Sie sich keine Sorgen, Steven wird etwas für ihn finden. Machen Sie sich jetzt keine Sorgen. Sie können heute nacht nichts mehr für ihn tun. Gehen Sie jetzt und schlafen Sie gut. Gehen Sie, und seien Sie ein braver Junge.«
Wortlos ließ Peter Marlowe sich hinausgeleiten. Steven lächelte ihm gute Nacht zu und ging wieder hinein. Aus der Dunkelheit beobachtete Peter Marlowe, wie Steven eine fiebrige Stirn glättete und eine fiebrige Hand hielt und die Nachtgeister wegzärtelte und die Nachtschreie glättete und die Decken richtete und einem Mann trinken half und einem Mann sich erbrechen half und die ganze Zeit ein Wiegenlied summte, zärtlich und süß. Dann trat Steven an Bett 4, blieb stehen und sah auf die Leiche hinab. Er streckte die Glieder und faltete die Hände, nahm dann seinen Arbeitskittel und bedeckte den Körper, und seine Berührung war eine Segnung. Stevens schlanker, glatter Leib und seine schlanken, glatten Beine schimmerten im Dämmerlicht. »Du armer Junge«, flüsterte er und blickte sich in dem Grabgewölbe um. »Arme Jungs. Oh, meine armen Jungs«, und er weinte für sie alle.
Peter Marlowe wandte sich ab in die Nacht, von Mitleid erfüllt und beschämt, daß Steven ihn einmal angewidert hatte.
12
A ls Peter Marlowe sich der amerikanischen Baracke näherte, war er voll böser Vorahnungen. Es tat ihm leid, daß er so bereitwillig zugestimmt hatte, für den King zu dolmetschen, und gleichzeitig verdroß ihn die Tatsache, daß er es
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