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Rattenkoenig

Rattenkoenig

Titel: Rattenkoenig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Clavell
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ungern tat. Du bist mir vielleicht ein feiner Freund, sagte er zu sich, nach allem, was er für dich getan hat.
    Das Fallgefühl in seinem Magen verstärkte sich. Gerade so, wie wenn man zu einem Einsatz aufsteigt, dachte er. Nein, doch nicht ganz so. Es ist vielmehr das gleiche Gefühl, wie wenn einen der Schuldirektor zu sich bestellt hat. Das andere Gefühl ist ebenso schmerzlich, aber gleichzeitig auch mit Freude gemischt. So wie jetzt das Dorf. Es läßt einem das Herz zum Höhenflug aufsteigen. Ein solches Risiko nur um der damit verbundenen Erregung willen einzugehen – oder in Wahrheit des Essens oder des Mädchens wegen, das einen dort vielleicht erwarten könnte.
    Er fragte sich zum tausendsten Male, warum der King eigentlich dorthin ging und was er dort tat. Aber ihn danach zu fragen wäre unhöflich gewesen, und er wußte, daß er nur ein wenig Geduld haben mußte, um es herauszufinden. Das war ein anderer Grund, weshalb er Zuneigung für den King empfand. Ihm gefiel seine Art, nichts freiwillig von sich zu geben und die meisten Gedanken für sich zu behalten. Das ist die englische Art, sagte sich Peter Marlowe zufrieden. Man gibt immer nur ein klein wenig von sich, wenn man gerade in der Stimmung dazu ist. Was man ist oder wer man ist, das ist jedermanns eigene Angelegenheit – so lange, bis man sich einem Freund mitteilen möchte. Und ein Freund fragt nie. Alles muß freiwillig gegeben werden oder überhaupt nicht.
    Wie etwa das Dorf. Mein Gott, dachte er, das zeigt doch, wieviel er von dir halten muß, daß er sich dir gegenüber so aufschließt. Fragt da einfach ohne viel Umschweife: ›Wollen Sie mitkommen, wenn ich das nächste Mal gehe?‹
    Peter Marlowe wußte, daß dieses Unternehmen etwas Verrücktes war. Es war verrückt, zu dem Dorf zu gehen. Aber vielleicht war es jetzt gar nicht mehr so verrückt. Jetzt gab es ja einen wirklichen Grund. Einen wichtigen Grund sogar. Er mußte versuchen, ein Ersatzteil zu bekommen, um das Rundfunkgerät reparieren zu können – oder gleich ein ganzes Rundfunkgerät zu organisieren. Jawohl, ein ganzes. Ja, das machte das Risiko lohnend.
    Aber gleichzeitig wußte er, daß er auch ohne das mitgegangen wäre, weil er dazu aufgefordert worden war und weil es dort vielleicht Essen und weil es dort vielleicht ein Mädchen gab.
    Er sah den King tief im Schatten einer Baracke mit einem anderen Schatten reden. Die Köpfe der beiden schwebten dicht beieinander, und ihre Stimmen waren nicht zu hören. Sie waren so völlig in ihr Gespräch vertieft, daß Peter Marlowe sich entschied, am King vorbeizugehen, und er begann durch den Lichtstrahl hindurch die Treppe zur amerikanischen Baracke hinaufzusteigen.
    »He, Peter«, rief der King laut.
    Peter Marlowe blieb stehen.
    »Ich komme gleich zu Ihnen, Peter.« Der King wandte sich wieder der anderen Gestalt zu. »Ich denke, Sie warten besser hier, Major. Sobald er kommt, werde ich Ihnen Nachricht geben.«
    »Danke schön«, murmelte der kleine Mann, und seine Stimme klang verlegen.
    »Nehmen Sie sich etwas Tabak«, sagte der King, und sein Angebot wurde gierig angenommen. Major Prouty wich tiefer in die Schatten zurück, verfolgte aber mit den Augen den King, als dieser über die offene Fläche hinweg auf seine eigene Baracke zuging.
    »Ich habe Sie vermißt, Mensch«, begrüßte der King Peter Marlowe und stieß ihn scherzhaft in die Seite. »Wie geht es Mac?«
    »Danke, es geht ihm gut.« Peter Marlowe wollte aus dem Lichtstrahl heraus. Verdammt, dachte er. Bin ich verlegen, weil ich vielleicht zusammen mit meinem Freund gesehen werden könnte? Das ist doch schändlich. Im höchsten Grade schändlich.
    Aber er konnte nicht verhindern, daß er sich von des Majors Augen beobachtet fühlte, und er konnte auch nicht das Zurückschrecken unterdrücken, als der King sagte: »Kommen Sie mit. Es wird nicht mehr lange dauern, dann können wir uns an die Arbeit machen.«
    Grey ging zu dem Versteck, um nachzusehen, ob dort vielleicht eine Nachricht für ihn in der Büchse hinterlegt worden war. Und das war auch tatsächlich der Fall. Major Proutys Uhr. Heute nacht. Marlowe und er.
    Grey warf die Büchse ebenso unauffällig wieder in den Graben zurück, wie er sie aufgehoben hatte. Dann reckte er sich, richtete sich auf und ging zur Baracke 16 zurück. Aber die ganze Zeit arbeitete sein Hirn mit der Schnelligkeit eines Computers.
    Marlowe und der King. Die beiden werden im ›Laden‹ hinter der amerikanischen Baracke stecken.

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