Raumschiff 3 - Tia
habe deine Akte wirklich nicht allzu gründlich studiert. Denn ich war mir so sicher, daß… na ja, egal. Aber ich bin schrecklich neugierig, was deinen Namen betrifft. Warum, um alles auf der Welt, haben deine Eltern dich ausgerechnet ›Hypatia‹ genannt?«
Tia lachte laut los, ihre Freude wirkte ansteckend.
»Ich denke, Professor Brogen«, sagte sie, »daß Sie sich besser hinsetzen sollten!«
KAPITEL 3
Der Operator von CenCom hatte eine angenehme Stimme und die ebenso angenehme Angewohnheit, seine Anrufe nicht mit statischem Rauschen oder einem Alarmpiepsen einzuleiten.
»XH Eins-Null-Drei-Drei, Funkspruch für Sie. Gespeicherter Nachrichtenstrahl.«
Mit einem Seufzen des Bedauerns riß Tia sich aus der
Lektüre der jüngsten Aufsätze über die Salomon-KildaireWesen. Sicher, sie hätte auch gleichzeitig einen Datenstoß empfangen und die Aufsätze lesen können, aber sie wollte mehr, als nur die bloße Information zu registrieren. Sie wollte alles in sich aufnehmen, damit sie später in allen Einzelheiten darüber nachdenken konnte. Akademische Aufsätze hatten Nuancen, die ein schnelles Überfliegen einfach nicht freilegte; an manchen Stellen mußte man die Persönlichkeit des
Verfassers kennen, um zwischen den Zeilen lesen zu können.
Das waren Stellen, an denen das, was nicht geschrieben wurde, von ebensolcher Bedeutung war, wie das, was zu lesen war.
»Nur zu, CenCom«, erwiderte sie und fragte sich, wer, um alles auf der Welt, sie jetzt anrufen könnte.
Merkwürdig, daß wir doch schon lange den terranischen Subraum verlassen haben und immer noch Ausdrücke wie ›um alles auf der Welt‹ verwenden… Das gäbe wahrscheinlich einen populärwissenschaftlichen Aufsatz her.
Der zentrale Bildschirm gegenüber der Säule, die sie
beherbergte, flackerte einen Augenblick, dann wurde er von dem Bild eines hageren Mannes in einem hochgerüsteten
Moto-Rollstuhl ausgefüllt – nein, es war mehr als ein Moto-Rollstuhl: Dieser Rollstuhl stellte eine Art Plattform dar. Tia erblickte, was nur eine APU sein konnte, dazu eine Art
Kurzstrahlsende-Einheit. Es sah so aus, als steckten seine Beine und Hüfte in der unteren Hälfte eines Raumpanzers!
Doch es gab keinen Zweifel daran, wer sich in diesem
seltsamen Exoskelett befand: Doktor Kenny.
»Tia, mein liebes Mädchen, ich gratuliere dir zu deinem Abschluß!« sagte Kenny mit blitzenden Augen. »Du müßtest inzwischen dein Abschlußgeschenk von Lars, Anna und mir erhalten haben. Ich hoffe, es… sie haben dir gefallen.«
Das Abschlußgeschenk war tatsächlich pünktlich gekommen, und Tia war entzückt gewesen. Sie liebte Instrumentalmusik, vor allem Synthcom, aber diese Aufnahmen hatten für jeden Hüllenmenschen eine ganz besondere Bedeutung. Denn sie
waren von David Weber-Tcherkasky komponiert und gespielt worden, der selbst ein Hüllenmensch war, und sie waren nicht für die beschränkten Ohren von Normalpersonen gedacht. Der Komponist hatte sich jeder Note des Gehörspektrums bedient, dazu superkomplexer Obertöne und Kontrapunkte, bei denen Normalpersonen nur verwirrt zusammenzuckten. Tia glaubte nicht, daß sie jemals müde werden würde, diese Musik zu hören. Jedesmal, wenn sie sie abspielte, hörte sie etwas Neues darin.
»… Jedenfalls habe ich mich daran erinnert, wie du in deiner letzten Nachricht erwähntest, daß du Lanz Manhems
Synthcom-Aufnahmen magst, und Lars hat mir immer wieder eindringlich erklärt, daß sich Tcherkaskys Werk zu der Musik von Manhem wie eine Sinfonie zu einem Vogelgezwitscher
verhält.« Kenny grinste. »Wir haben uns jedenfalls gedacht, daß es dir vielleicht eine Hilfe wäre, die Stunden beim Transitanflug zu vertreiben. Anna sagt, daß dein Abschluß kosmisch war – es tut mir leid, daß ich nicht kommen konnte, aber du siehst ja gerade selbst den Grund dafür.«
Er schnitt eine Grimasse und zeigte auf seine untere
Körperhälfte. »Die Firma Moto-Prothesen hat in ihrer
unendlichen Weisheit entschieden, daß ich, da ich in der Vergangenheit von ihrer Erfahrung profitiert habe, ihr noch etwas schuldig bin. Sie haben den Verwaltungschef des
Krankenhauses davon überzeugt, daß ich der einzige sei, der diese Konstruktion testen könnte. Das soll angeblich etwas werden, mit dem ich durch ein Zimmer schlendern oder so lange in einem Operationssaal stehen kann, wie ich es tun muß.« Er schüttelte den Kopf. »Das Ding ist voller Macken wie ein neues Softwaresystem, das kann ich dir sagen. Gestern ist es
Weitere Kostenlose Bücher