Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)
deine drei Taucher mit dem Kristallschädel aus der ESPERANZA verschwanden.«
Melissa blickte ihn mit großen Augen an. »Du - du hast Erfahrung mit derartigen Phänomenen?«
»Mehr, als mir lieb ist«, sagte Raven grimmig. »Irgendwo in meiner Nähe muss der Wahrscheinlichkeitsgradient des Universums einen ganz schön derben Knick haben. Mir stoßen nämlich laufend solche Dinge zu. Aber jetzt erzähl mal weiter, Mädchen.«
Melissa seufzte tief. »Wenn's denn sein muss ...« Behutsam löste sie ihr Handgelenk aus Ravens Zugriff. »Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, der Geist in dem Schädel ... Er stammt aus Maronar. Maronar ist nichts anderes als die Erde - in einem sehr viel früheren Stadium ihrer Entwicklung. Und zugleich ist Maronar die Hölle. Ich meine das nicht metaphorisch, Raven. Ich bin fest davon überzeugt, dass der Mythos einer feurigen Hölle, in der Menschen von Teufeln gequält werden, auf Legenden über die Existenz Maronars zurückgeht. Die Teufel von Maronar waren die sogenannten ›Magier‹, eine Art Priester- und Fürstenkaste, die über ungeheure okkulte Fähigkeiten verfügte. Aber auch diese unglaublich mächtigen Wesen fanden eines Tages ihre Meister - albtraumhafte Dämonengeschöpfe, die sie selbst durch ... nun, sagen wir, ein ›Dimensionstor‹ aus einem entsetzlichen Schattenreich heraufbeschworen hatten. Diese Dämonen vernichteten die Magier und gingen bei diesem Kampf selber zugrunde. Irgendwann während der jahrhundertelangen Auseinandersetzungen entkörperlichten sie vier der Magier - einen Meistermagier und seine drei Gehilfen - und sperrten ihre Seelen in Kristallschädel ein, die sie mit Hilfe magischer Energien imprägnierten und für die Ewigkeit haltbar machten. Ob es sich dabei um ein wissenschaftliches Experiment oder um eine Folter handelte, weiß ich nicht. Jedenfalls wurde der Prozess später nie wieder angewandt, sodass die vier Kristallschädel die einzigen ihrer Art blieben.
Der Geist in dem Londoner Schädel, mit dem ich in Kontakt getreten war, gehörte einem der Gehilfen. Auch die Schädel in Paris und New York waren, wie ich mich selbst überzeugte, Gehilfenschädel. Es war keine Schwierigkeit festzustellen, dass sie vergleichsweise harmlos sind. Sie können dafür empfänglichen Menschen, die sich auf sie konzentrieren, Visionen von Maronar eingeben, aber weiter reichen ihre Fähigkeiten nicht. Mit dem Meisterschädel scheint das eine andere Sache zu sein. Er muss über gewisse magische oder psionische Fähigkeiten verfügen, die die Dämonen nicht vorausgeahnt hatten. Welcher Natur sie sind, vermochte ich allerdings nie herauszufinden - vermutlich wissen die Gehilfenschädel das selber nicht.
Ich beschäftigte mich jahrelang nicht mehr mit den Schädeln. Ich vergaß, oder besser gesagt: ich verdrängte ihre Existenz beinahe völlig. Dann geschahen zwei Dinge, die mich sehr nachdrücklich daran erinnerten: Der Londoner Schädel wurde aus dem Britischen Museum gestohlen - und kurz darauf stieß ich in den Madrider Archiven auf die Spur des vierten Schädels.
Des Meisterschädels.
Denn nur er konnte es sein, Raven. Es gab ja nur vier ihrer Art. Ich beschloss, den Schädel durch Nick Jerome und seine Leute bergen zu lassen, um ihn auf seine Gefährlichkeit zu überprüfen und gegebenenfalls mit eigener Hand zu vernichten. Du kannst dir vorstellen, wie erschrocken ich war, als die LAURA verschwand. Schlagartig wurde mir klar, dass es noch eine andere Person oder Gruppe geben muss, die um das Geheimnis der Kristallschädel weiß. Sie hat sich die Schädel zusammengestohlen, um deren potentielle Macht für irgendwelche dunklen Zwecke zu nutzen. Die Polizei lachte mich aus, obwohl ich sorgfältig alles wegließ, was allzu fantastisch klang. In meiner Verzweiflung erzählte ich Sir Anthony die ganze Geschichte. Ich war mir zwar sicher, dass er mir wieder nicht glauben und bloß versuchen würde, mich zu beruhigen, aber zu meiner Verblüffung nahm er die ganze Angelegenheit überaus ernst. Er nannte mir deinen Namen und riet mir, mich an dich zu wenden. Das ist alles, Raven - die Geschichte von Anfang bis Ende.«
Sie schwieg erschöpft. Und Raven blickte sie durchdringend an. Dann schüttelte er grimmig den Kopf.
»Das ist nicht alles, Melissa«, sagte er. »Gestern hat nämlich einer der ›harmlosen‹ Gehilfenschädel einen Mann dazu gebracht, Amok zu laufen. Wie erklärst du dir das?«
»Das - das weiß ich auch nicht.« Ihre Augen waren wie tot, als
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