Rebecca
Dunkelheit.
»Was hältst du eigentlich von Dennis?«, fragte Rebecca.
Rob nickte. »Er kann ein bisschen herrisch sein«, sagte er und lachte dann. »Meinst du das?«
»Manchmal frage ich mich, was er eigentlich von uns will.«
Rob legte seine Hand auf ihre. »Ich glaube, ich weiß es. Er ist ganz allein, er hat keine Verwandten, niemanden. Deshalb steckt er sein Geld in unser Projekt, obwohl er von Gartenbau keinen blassen Schimmer hat.« Wieder lachte er leise. »Er braucht uns genauso wie wir ihn, aber das heißt nicht, dass wir ihn adoptieren müssen.« Er tätschelte ihre Hand. »Alles wird gut. Im Oktober feiern wir unsere Eröffnung ganz groß.«
Sie brachte es nicht übers Herz, seinen Traum zu zerstören. Schließlich hatte sie nichts Richtiges in der Hand, außer ihren vagen Vermutungen und den paar Sachen, die sie aufgeschnappt hatte. Rob würde sie auslachen. Oder verstört reagieren. Also sagte sie nichts.
12
Der alte Mann wagte es nicht, mich anzuschauen. »Sie müssen mich hassen«, sagte er.
»Sie konnten doch nichts dafür.«
Ich schob einen Stuhl an sein Bett. Er lag zusammen mit vier weiteren Patienten auf dem Zimmer. Ich war zur offiziellen Besuchszeit gekommen, mitgebracht hatte ich nichts. Eine Frau und ein kleiner Junge saßen am Bett des Patienten neben der Tür. Die Frau sprach leise. Der Junge befühlte das Gipsbein seines Vaters, das an einem Gestell hing.
»Es tut mir so furchtbar leid«, sagte der alte Mann. »Es ging mir nicht gut. Ich hatte zwar Tabletten dabei, aber ich dachte, ich schaffe es noch bis nach Hause. Plötzlich bekam ich keine Luft mehr.«
»Sie brauchen sich nicht zu rechtfertigen.«
Ich war nicht hier, um den Ablauf zu rekonstruieren. Ich wollte ihn nur einmal sehen, ein Gesicht mit dem Namen verbinden. Frans Vorster war ein Sportjournalist aus Rotterdam, der vor fünfzehn Jahren in Rente gegangen war und sich unglücklicherweise ein Haus in der Nähe von Leerdam gekauft hatte statt irgendwo in Zeeland. Er war ein magerer Mann mit weißen Haaren und farblosen Lippen. Er schaute mich kurz an und dann sofort wieder weg, zu dem ausgeschalteten Fernseher an der Wand gegenüber.
Dann sagte er: »Neulich habe ich einen Kung-Fu-Film gesehen, der mit ein paar Zitaten aus dem Buch der Samurai künstlerisch aufgewertet werden sollte. Ich habe mir eines der Zitate aufgeschrieben.« Ohne hinzusehen tastete er nach dem Nachtschränkchen. Ich sah einen alten bekritzelten Briefumschlag und reichte ihn ihm. Er hielt ihn gegen das Licht und kniff die Augen zusammen, als brauche er eigentlich eine Brille. »Das Leben ist eine Abfolge von Momenten«, zitierte er. »Wenn man einen ganz und gar begreift, versteht man auch alle anderen.« Er ließ den Umschlag sinken. »Von diesem einen entscheidenden Moment wird so viel geredet und trotzdem habe ich nie verstanden, was eigentlich damit gemeint ist.«
Ich stand auf. »Ich auch nicht. Welcher Moment soll das sein?«
Der Moment, in dem er beschlossen hatte, hierher zu ziehen anstatt nach Zeeland? Der Moment, in dem er in seinen Mercedes gestiegen war? In dem er die Herztabletten für zu Hause aufgehoben hatte?
»Am Freitag werde ich entlassen«, sagte er.
»Schön«, sagte ich. »Alles Gute dann.«
Als ich die Tür erreichte, kam gerade jemand herein, eine alte Dame, seine Frau vermutlich. Sie hatte eine Tüte mit Trauben und Apfelsinen dabei. »Guten Tag«, sagte sie im Vorübergehen.
»Guten Tag, Mevrouw.«
Das alles half mir natürlich nicht weiter, aber heute Morgen um neun war Corrie gekommen, um das Haus durchzulüften und wieder bewohnbar zu machen, und als sie eintraf, war ich bereits rasiert und frisch angezogen. Das lag daran, dass um halb neun der Wecker geklingelt hatte.
Schon vor Tagen hatte ich den Wecker mit dem Zifferblatt zur Wand gedreht, weil ich nur schlafen und die Zeit vergessen wollte und ich mich erst mitten am Tag aus dem Bett wälzte. Ich schlief wie ein alter Hund, ohne Albträume, nur dann und wann erschien mir Nel. Ich hatte garantiert weder den Wecker gestellt noch das Zifferblatt wieder zu mir hin gedreht.
CyberNel. Sie spukte herum, hielt sich immer noch in meiner Nähe auf.
Heute Nacht hatte sie sehr belehrend und ungeduldig geklungen, wie eine Groninger Grundschullehrerin, die ihren dickschädeligen Schülern mühsam den Stoff einzuhämmern versucht. Ich will dir ja nicht die Leviten lesen, sagte sie, aber irgendwann musst du dich mal entscheiden, was du mit deinem weiteren
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