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Rebecca

Rebecca

Titel: Rebecca Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Thijssen
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Ich blickte dem Zug nach, der in Richtung Culemborg verschwand.
    »Okay«, sagte ich. »Danke. Ich schaue mich nochmal ein bisschen um.«
    »An den Schienen?«
    »Ja.«
    »Soll ich mitkommen?«
    Ich schaute in seine wachen Augen. »Ja, gerne«, sagte ich. »Zwei sehen mehr als einer. Geh du voran.«
    Casper grinste vor Begeisterung so breit, dass sich seine Augen zu Schlitzen verengten. Er lehnte seine Angel gegen das Geländer. Der Wurm baumelte über dem Wasser in der Sonne. Ich folgte dem Jungen am Bahndamm entlang. Er blieb an der Stelle stehen, an der ich hinaufgeklettert war. »Hier?«
    »Oder vielleicht ein Stückchen weiter?«
    »Nein, hier ist es passiert.« Er schüttelte den Kopf. »Wir kommen sowieso zu spät. Jede Menge Leute haben hier einen ganzen Tag lang alles sauber gemacht. Wir finden bestimmt nichts mehr.«
    »Da hast du Recht, aber wir müssen jetzt überprüfen, ob man ein Stück weiter drüben auf der anderen Seite über den Graben kommen kann.«
    »Ach so.« Seine Augen leuchteten auf. »Klar, kann man ganz leicht, da hinten bei den Schrebergärten. Kommen Sie!«
    Munter lief er vor mir her über den Schotter und die Grasbüschel, bis er nach einer Weile stehen blieb. »Hier.«
    Er wollte schon den Bahndamm hinaufklettern, aber ich hörte Klingeln in der Ferne und packte ihn an der Hand. »Ein Zug!«
    »Der erwischt mich schon nicht.«
    »Dich nicht, aber ich bin nicht so flink wie du.«
    Wir warteten auf den Zug. Seine Hand war klebrig. Er kam nicht auf die Idee, sie wegzuziehen. Kinder fragen einen nicht nach dem Ausweis, jedenfalls nicht auf dem Land, sie besitzen noch eine Unschuld, die wehmütig macht. Nachdem der Zug vorbei war, zog Casper mich den Bahndamm hinauf und ich ließ ihn gewähren. Ich war ein alter Mann, er verkörperte die unsterbliche Jugend.
    Oben blieb er stehen und blickte am Gleis entlang in die Ferne, wo die Schienen sich verformten und sich im Dunst der Sonnenhitze auflösten. »Warum macht jemand so was bloß?«, fragte er dann.
    »Was?«
    Er sah hinunter auf die Schienen.
    »Ich weiß es nicht.« Ich wollte ihn aber nicht einfach so abspeisen. »Manchmal weiß jemand einfach nicht mehr ein noch aus.«
    Ich dachte an die Statistiken und die beunruhigende Anzahl Jugendlicher unter achtzehn, die sich erhängten, von Hochhäusern sprangen oder sich vor den Zug warfen. Casper würde gewiss nicht dazugehören, aber man konnte ja nie wissen. Einmal fand ich in der Brusttasche eines Junkies, der an einer Überdosis gestorben und bereits in Verwesung begriffen war, ein altes Foto von Vater, Mutter und zwei Kindern beim Picknick an einem Strand. Eines der Kinder war er gewesen. »Ich verstehe das auch nicht«, sagte ich. »Manche Dinge sind einfach unbegreiflich.«
    Casper lotste mich über die Gleise und ich folgte ihm auf der anderen Seite hinunter. Hier war es grüner und kühler. Auf dem schmalen, nur zwei Meter breiten Streifen zwischen Bahndamm und Wassergraben wuchsen Beerensträucher, und wo sie endeten, führte eine stabile Planke über den Graben. Im Schrebergarten auf der anderen Seite hockte ein alter Mann mit sonnengebräuntem Gesicht zwischen den Stangenbohnen. Er trug einen Strohhut und Knieschoner aus alten Autoreifen.
    »He? Habt ihr euch verlaufen oder was?«
    »Pscht!«, machte ich zu Casper. »Ich habe gehört, hier soll es Eisvögel geben!«, rief ich. »Dürfen wir Ihre Planke benutzen?«
    Er zupfte an seinen hochgekrempelten Hemdsärmeln. »Eisvögel?«
    Wir gingen über die Planke. Der Mann stützte sich auf den Korb und blieb in der Hocke sitzen, während wir über seinen schnurgeraden Gartenweg liefen.
    »Eisvögel? Hab ich ja noch nie gehört.«
    »Das sind kleine, leuchtend blaue Vögel, man sieht sie manchmal blitzschnell übers Wasser huschen.«
    »Die gibt’s hier nicht.«
    »Ja, sie sind inzwischen sehr selten geworden, und unser Verein hält ständig nach ihnen Ausschau, um ihr Vorkommen zu katalogisieren, wissen Sie. Na ja, war wohl wieder mal falscher Alarm.« Ich hob die Hand zum Gruß. »Danke!«
    Casper ging mir voraus. Der Garten war nicht eingezäunt und wir konnten von dort aus auf die Parallelstraße gelangen. Dort blieb Casper stehen und fragte: »Was sind denn Eisvögel?«
    »Man sieht sie vor allem im Winter. Sie sind wunderschön.« Ich grinste ihn an. »Hab’ noch nie einen gesehen.«
    »Werd ich mir merken«, sagte er fröhlich. »Gehen wir jetzt wieder zurück?«
    Wir waren fünfzig Meter von seinem Elternhaus entfernt. Hier

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