Rebellin unter Feen
schon jetzt das Herz. Ich wünschte, es gäbe eine andere Möglichkeit.
Heides Freude über ihre neugeborene Tochter wurde schon bald von Unbehagen über die Lage in der Eiche überschattet. Besonders beunruhigte sie, dass sie nicht die Einzige war, die in letzter Zeit aus der Außenwelt zurückgekehrt war. Königin Jasmin hatte offenbar alle Eichenfeen zurückbeordert, damit sie ihr den Treueid schwören konnten. Bereits drei weitere Feen waren zu diesem Zweck in der Eiche eingetroffen.
Warum Heide deswegen so beunruhigt war, erfuhr Klinge erst, als sie weitergelesen hatte. Zwei Einträge später war die angespannte Ruhe in der Eiche endgültig zerstört.
Ich kann diese Worte vor lauter Weinen kaum schreiben, und die Schmerzen, die ich fühle, drohen meine Brust zu sprengen. Jasmin – ich nenne sie nicht Königin, denn sie ist nicht meine Lehnsherrin – hat uns alle verraten. Die große Gärtnerin sei uns gnädig!
Mit klopfendem Herzen las Klinge die noch verbleibenden letzten Seiten des Tagebuchs. Sie ahnte bereits, dass Jasmin mit der Spaltung zu tun hatte, aber selbst ihre schlimmsten Befürchtungen konnten sie nicht auf Heides letzten Eintrag vorbereiten.
Lavendel habe ich verloren. Ihr Verstand und ihr Gedächtnis sind verwirrt, und sobald ich von Menschen spreche, hält sie sich die Ohren zu und schreit. Die ganze Eiche ist in Aufruhr. Feen laufen durcheinander und blöken wie Schafe. Sie hören nur noch auf Jasmin, nicht auf mich, auch wenn ich sie noch so sehr anflehe. Ich ertrage diesen Albtraum nicht länger – ich kann meine Tochter nicht hier lassen – ich muss von hier weg. Aber wie kann ich, gefangen in meinem kleinen Körper und meiner Zauberkraft beraubt, nach Waverley zurückkehren? Selbst wenn ich die Reise durch ein Wunder überleben würde, wie kann ich Philip gegenübertreten und ihm sagen, dass er nicht nur seine Tochter, sondern auch seine geliebte Muse verloren hat?
Doch ich habe keine Wahl. Jasmin wird bald entdecken, dass ich noch bei klarem Verstand bin und ihre Ränke durchschaut habe. Ich muss noch heute Nacht fort. Meine kleine Baldriana werde ich mitnehmen, und der Mond wird uns leuchten. Auch wenn wir umkommen, ist dieses Schicksal doch immer noch besser als das, das uns unter Jasmin erwartet.
Ich werde dieses Tagebuch verstecken und bete darum, dass es eines Tages von jemandem gefunden werden möge, der seinen Inhalt versteht und den Mut besitzt, die Wahrheit ans Licht zu holen. Verzeiht mir, dass ich nicht mehr tun kann. Lebt wohl.
Wie betäubt ließ Klinge das Tagebuch auf den Boden fallen. »Also Jasmin«, flüsterte sie. »Sie hat die große Spaltung herbeigeführt. Aber warum? Warum? «
Sie blickte auf Pechnelke hinunter, doch die Bibliothekarinhatte die Augen geschlossen. Dorna und Baldriana stritten noch immer über die praktischen Vorzüge von Eiern im Vergleich zu Säuglingen und bemerkten Klinges Erschütterung nicht.
Was auch gut so war. Klinge war ihnen für ihre bisherige Hilfe dankbar, aber die beiden hatten schon genug für sie riskiert. Das Rätsel der Spaltung würde sie allein aufklären, und wenn sie dazu Königin Amaryllis persönlich fragen musste.
Doch wurde sie das nagende Gefühl nicht los, dass sie die Antwort eigentlich schon kannte und nur nicht in der Lage war, sie zu sehen. Sie überlegte noch einmal, was sie über Jasmin wusste. Bruchstücke von Heides Tagebuch gingen ihr durch den Kopf.
Ein Kleid, das geflickt werden musste … Der obere Teil war vollkommen zerrissen, ein Ärmel fehlte ganz …
»Ich habe mir unterwegs einiges Geschick im Zeichnen angeeignet.« Jasmin lächelte, doch ihre Augen blickten bitter …
Ich hatte zuerst geglaubt, sie würde sich mit mir freuen, doch ihre eigenen schlechten Erfahrungen in der Außenwelt erfüllten sie mit bösen Vorahnungen und sie riet mir mehr oder weniger deutlich ab …
Er war für sein heftiges Temperament berüchtigt, hörte sie plötzlich Pauls Stimme sagen. Schlagartig begriff sie den Zusammenhang. Jane Nesmith, die schöne und geheimnisvolle Frau, die Alfred Wrenfield verlassen hatte, der wie verrückt Feen gemalt hatte … war Jasmin.
Langsam beugte Klinge sich vor und hob Heides Tagebuch vom Boden auf. Sie legte es auf den Nachttisch und sagte ganz ruhig: »Ich gehe mal eben kurz nach oben.« Ohne eine Antwort abzuwarten, schlüpfte sie aus dem Zimmer.
Königin Amaryllis saß mit dem Rücken zur Tür an ihrem Schreibtisch. Sie trug eine
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