Rebellion Der Engel
interessierte mich nicht. »Ich habe gelesen, dass Erzengel Michael ein Schutzengel ist. Bedeutet das, dass alle Schutzengel auch Erzengel sind?«
»Michael.« Ein Schatten huschte über Kyles Augen, war jedoch verschwunden, als er den Blick wieder auf mich richtete. »Er ist der mächtigste unter den vier Erzengeln und nimmt eine gewisse Sonderstellung ein. Wenn man es sowill, ist er die rechte Hand Gottes und ganz bestimmt sein Lieblingskind. Michael genießt Narrenfreiheit. Allerdings ist er längst nicht so toll, wie die Legenden es uns glauben machen wollen.«
Ich runzelte die Stirn. »Das klingt ja fast, als würdest du ihn persönlich kennen.«
Kyle sah mich irritiert an, dann lachte er. »Nein, natürlich nicht. Ich stimme nur nicht mit den Ansichten der Kirche überein, wenn es um Michael geht.«
»Und wo weicht deine Meinung von der deiner Arbeitgeber ab?« Es gehörte zwar nicht zum Thema, aber es kam vermutlich nicht oft vor, dass ein Priester offen zugab, eine andere Meinung zu haben als jene, die ihm die Lehren der Kirche vermittelten – und das fand ich spannend.
»Er wird dafür verehrt, die Rebellion der Engel beendet zu haben, was er auch getan hat – der Bibel zufolge.«
»Aber?«
»Er hat nicht fair gekämpft.« Kyles Blick war jetzt in die Dunkelheit gerichtet, als könne ihm das helfen, sich an die entsprechenden Bibelstellen zu erinnern. »Der Morgenstern, auch als Luzifer bekannt, wollte Gott nicht länger dienen. Man sagt, er sei nicht damit einverstanden gewesen, wie wenig sich Gott um die Belange seiner Geschöpfe kümmerte, seien es nun Engel oder Menschen. Luzifer wollte das ändern. Er wollte regulierend eingreifen und nicht tatenlos zusehen, wie sich die Dinge entwickeln.« Er zuckte die Schultern. »Vielleicht gar keine so üble Idee, wenn man sich ansieht, wie die Menschen ihren Planeten immer weiter zerstören.«
Oder wie Menschen viel zu früh aus dem Leben gerissen werden, so wie meine Mutter.
»Man könnte Luzifers Aufstand als eine Art politische Revolte bezeichnen. Als Mächtigster unter den Engeln,mächtiger noch als Michael es je gewesen ist, hatte er immer wieder versucht, den Schöpfer davon zu überzeugen, zu handeln. Doch Gott schenkte ihm kein Gehör. Da sammelte Luzifer jene um sich, die dachten wie er, und zog gegen Gott und dessen himmlische Heerscharen in den Krieg. In der Offenbarung des Johannes ist von einer apokalyptischen Schlacht die Rede. Der Kampf von Gut gegen Böse, der genauer betrachtet nichts anderes war als das Aufeinandertreffen zweier unterschiedlicher Meinungen.« Kyle verzog die Lippen zu einem schiefen Grinsen. »Johannes hat beim Verfassen seiner Schriften auf jeden Fall Sinn für Dramatik bewiesen.«
»Und was war nun mit Michael?«
»Er hat sich Luzifers Heer angeschlossen und an der Seite des Morgensterns gekämpft«, fuhr Kyle fort. »In der finalen Schlacht, so heißt es, verwandelte sich Luzifer in einen Drachen mit sieben Häuptern und zehn Hörnern, der mit seinem Schwanz ein Drittel der Sterne hinwegfegte. Er hätte gewinnen müssen, doch im entscheidenden Augenblick wandte sich Michael gegen ihn und warf ihn auf die Erde.«
»Auf die Erde?«
»Die Aufzeichnungen sind widersprüchlich. Er hat ein lebenslanges Hausverbot im Himmel und sein Sturz auf die Erde wird in der Bibel auch oft als Höllensturz bezeichnet. An anderen Stellen ist von Schwefel und Feuer und ewiger Nacht die Rede. Vielleicht ein aktiver Vulkan.« Er zuckte die Schultern. »Das ist das Problem mit diesen Überlieferungen. Sieht man sie sich zu genau an, findet man eine Menge Widersprüche.«
»Darfst du so etwas als Priester überhaupt sagen?«
»Wäre ich ein Mitglied der katholischen Kirche, hätte ich in diesem Moment vermutlich eine Mail mit meiner Exkommunikation in meinem Posteingang«, gab er grinsendzurück. »Wir Baptisten sind da glücklicherweise freier und um einiges moderner eingestellt.«
Es gefiel mir, dass er so locker über die Kirche und die alten biblischen Überlieferungen sprach. Seine Art, damit umzugehen, machte das alles für mich greifbarer und verständlicher. Hätte er mir eine Bibel in die Hand gedrückt und mir die entsprechenden Stellen gezeigt, hätte ich sicherlich nicht einmal die Hälfte davon verstanden, was dort stand.
Ich nahm einen Schluck von meinem Punsch. Das Zeug war wirklich stark und allmählich spürte ich, wie es meinen Verstand zu vernebeln begann. »Ich vermute, dass diese Höllensturz-Sache Michael um
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