Rebus - 09 - Die Sünden der Väter
Kontrolle über den Wagen verloren?«
»Nein, das hätte viel ruckartiger ausgesehen.«
»Welche Farbe hatte das Auto?«
»Dunkelgrün.«
»Und was war es für ein Fabrikat?«
Renton zuckte die Achseln. »Von Autos habe ich keine Ahnung. Aber ich sag Ihnen was...«
»Was?«
Renton nahm seine Brille ab, putzte sie gründlich. »Warum versuche ich nicht einfach, es Ihnen zu zeichnen?« Er rückte die Staffelei ans Fenster und machte sich an die Arbeit. Rebus ging in den Flur und rief das Krankenhaus an. Der Mensch, den er ans Telefon bekam, klang nicht allzu überrascht.
»Unverändert, tut mir Leid. Es sind ein paar Besucher bei ihr.«
Mickey und Rhona. Rebus unterbrach die Verbindung und wählte Prydes Handynummer.
»Ich bin in einer der Wohnungen über Remnant Kings. Ich habe einen Augenzeugen.«
»Ja?«
»Er hat alles mit angesehen. Und er ist Kunststudent.«
»Ja?«
»Mann, Bill. Soll ich's Ihnen vielleicht aufzeichnen, damit Sie's kapieren?« Kurzes Schweigen am anderen Ende der Leitung, dann sagte Pryde: »Ach so.«
13
Rebus hielt sich das Handy ans Ohr, während er durch das Krankenhaus ging.
»Joe Herdman hat eine Liste zusammengestellt«, sagte Bill Pryde gerade, »Rover 600er Serie, die neueren Ford Mondeos, Toyota Celica und noch ein paar Nissans. Absoluter Außenseiter wäre der 5er BMW.«
»Das grenzt die Auswahl wohl ein bisschen ein.«
»Joe sagt, Rover, Mondeo und Celica wären die Favoriten. Er hat mir noch ein paar weitere Details genannt - Chromleisten um die Nummernschilder und so Sachen. Ich werd unseren Künstlerfreund anrufen, mal sehen, ob bei ihm irgendwas klickt.«
Eine Schwester funkelte Rebus böse an, als er an ihr vorbeiging.
»Mobiltelefone sind hier nicht erlaubt«, sagte sie barsch.
»Hören Sie, ich bin etwas in Eile...«
»Sie können bei den Geräten zu Störungen führen.«
Rebus blieb stehen, und alle Farbe wich aus seinem Gesicht. »Ich hatte es vergessen«, sagte er. Er legte sich eine zitternde Hand an die Stirn.
»Geht's Ihnen nicht gut?«
»Doch, doch. Hören Sie, ich werd's nie wieder tun, okay?« Und bevor er weiterging: »Sie können sich darauf verlassen.«
Rebus holte eine Fotokopie von Rentons Zeichnung aus der Tasche. Joe Herdman war ein Sergeant im Innendienst, der alles über Autos wusste. Er hatte sich schon früher als nützlich erwiesen, als es ihm gelang aus einer vagen Beschreibung etwas recht Konkretes herauszuholen. Rebus betrachtete während des Gehens die Zeichnung. Alle Details waren da: Gebäude im Hintergrund, die Hecke, die Umstehenden. Und Sammy, im Augenblick des Zusammenstoßes. Sie hatte sich halb umgedreht und streckte die Hände nach vorne aus, als könnte sie das Auto so zum Stehen bringen. Aber Renton hatte vom Heck des Wagens ausgehende dünne waagrechte Striche gezogen, die den Fahrtwind darstellten, hohe Geschwindigkeit andeuteten. Wo ein Gesicht hätte sein sollen, hatte er lediglich ein leeres Oval eingezeichnet. Die hintere Hälfte des Autos war sehr deutlich dargestellt, die vordere verschwommen, in perspektivischer Verkürzung. Renton erklärte, er habe alles weggelassen, was er nicht wirklich genau gesehen habe. Er versicherte, nichts aus der Phantasie ergänzt zu haben.
Es war das Gesicht - beziehungsweise dessen Nichtvorhandensein -, das Rebus an der Zeichnung am meisten irritierte. Er versetzte sich in die Situation, fragte sich, was er getan hätte. Hätte er sich auf den Wagen konzentriert, sich das Kennzeichen eingeprägt? Oder hätte seine ganze Aufmerksamkeit Sammy gegolten? Was hätte bei ihm die Oberhand behalten: Bulleninstinkt oder Vaterliebe? Auf der Wache hatte jemand gesagt:
»Keine Sorge, den kriegen wir schon.« Nicht: »Keine Sorge, sie wird schon wieder gesund.« Was die ganze Sache auf zwei Dinge reduzierte: den Schuldigen und die Vergeltung - und nicht etwa sie, das Opfer, und ihre Genesung.
»Ich wäre bloß ein Augenzeuge wie jeder andere auch gewesen«, sagte Rebus leise. Dann faltete er die Zeichnung zusammen und steckte sie wieder ein.
Sammy lag in einem Einzelzimmer voller Schläuche und Apparate, wie er sie aus Filmen und Fernsehserien kannte. Nur dass hier das Zimmer schäbiger war, Farbe von den Wänden und den Fensterrahmen blätterte. Die Stühle bestanden aus Metallbeinen mit Gummifüßen und aus einem Stück gegossenen Kunststoff-Sitzschalen. Als er eintrat, stand eine Frau auf. Sie umarmten sich. Er küsste sie auf die Schläfe.
Direkt auf sie zugehalten. Hatte das sonst
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