Rechtsdruck
kappte die Verbindung.
»Wir sollen ihm nichts tun, hat Ludger gesagt«, erklärte er seinem
Kollegen zwei Minuten danach auf dem Weg nach unten.
Der sah ihn verständnislos an. »Was?«
»Wir sollen ihn festnehmen, aber ihm nichts tun, so hat Ludger sich
ausgedrückt. Wegen der türkischen Community.«
»Wegen der was?« Der junge Oberkommissar wollte gerade zu einer Tirade
über den Boss seines Bosses ansetzen, wurde jedoch durch das erneute Klingeln von
Lenz’ Telefon unterbrochen.
»Ja?«, meldete sich der Hauptkommissar, nachdem er gesehen hatte, dass
es sich bei dem Anrufer wieder um Ludger Brandt handelte.
»Komm doch bitte noch mal hierher zum Tatort«, forderte der Kriminalrat
ihn ohne große Vorrede auf.
»Was gibt es denn?«
»Komm einfach her, Paul!«, schnaubte es aus dem kleinen Lautsprecher,
dann war die Leitung tot.
*
»Das gibt’s doch gar nicht«, machte Hain seiner Verwunderung Luft,
nachdem er die Papiere, die ihm bei ihrer Ankunft am Tatort von Ludger Brandt in
die Hand gedrückt worden waren, zum dritten Mal durchgesehen hatte.
»Zum einen hat die Familie Bilgin, also der Mann, die Frau, und der
Sohn Emre, laut dieser Unterlagen das Einkommen aufgestockt bekommen, weil sie so
wenig verdient haben …«, er nahm ein anderes Blatt in die Hand, das wie ein Kontoauszug
aussah. »Zum anderen befanden sich auf vier Konten insgesamt 186.000 Euro. Wie geht
das denn zusammen?« Er sah Lenz ziemlich konsterniert an.
Der Hauptkommissar zog seine Lesebrille von der Stirn wieder auf die
Nase, griff sich die Unterlagen, betrachtete die einzelnen Blätter und versuchte,
eine Antwort auf die Frage zu finden. »Was weiß ich, Thilo. Irgendwie haben sie
es jedenfalls geschafft. Vielleicht haben sie einfach die zuständigen Behörden nach
Strich und Faden verarscht.«
Hain fasste sich an den Kopf. »Guck dich doch nur mal hier um, Paul«,
entgegnete er mit einem schnellen Blick über das alte Mobiliar im Wohnzimmer der
Bilgins, in dem sie standen, und wo alles einen ziemlich abgewohnten, heruntergekommenen
Eindruck machte.
»Mit so viel Kohle auf dem Konto als Aufstocker zum Amt gehen? Und
dann noch in solch einer Borkenbude hausen?« Er tippte sich an die Schläfe. »Nein,
mein Freund, das kann mir keiner erzählen. Hier ist irgendetwas total faul.« Damit
nahm sich der junge Polizist noch einmal die Unterlagen zur Hand und begann wieder
zu lesen.
»Bingo!«, stieß er kurze Zeit später aus und deutete dabei auf einen
der Kontoauszüge. »Das ist der Schlüssel.«
»Hm«, machte Lenz skeptisch. »Lass hören.«
Sein Kollege hielt ihm mit triumphierendem Gesichtsausdruck eines der
kleineren Papiere unter die Nase.
»Lies«, forderte er.
Lenz überflog die Unterlage, konnte jedoch nichts finden, was nach
seiner Meinung ein Bingo auch nur im Ansatz gerechtfertigt hätte.
»Hab ich«, verkündete er. »Aber ich kann dir nicht folgen.«
Hain deutete auf das Adressfeld. »Darum geht es.«
Lenz las erneut den Namen und die Adresse des Türken. »Ich sehe es
nicht, Thilo! Hilf mir bitte weiter. Was genau meinst du?«
»Unser leider recht toter türkischer Familienvater hieß Gökhan Bilgin,
richtig?«
»Richtig«, bestätigte der Hauptkommissar sehr, sehr leise. Er war nur
noch ein paar hundertstel Millimeter von einem veritablen Wutausbruch entfernt.
Hain, der mit dem Zeigefinger auf eine Stelle in der obersten Zeile der Adresse
deutete, konnte manchmal extrem enervierende Wesenszüge an den Tag legen.
»Und nun schau mal genau hier hin.«
Lenz folgte dem Finger und zwinkerte unsicher. »Das ist doch…«
»Genau das ist es, Paul! Der Mann hieß Gökhan Bilgin, die Kontoauszüge
lauten aber auf Gökhan Biglin. Biglin!«
»Das würde zumindest erklären, warum es dem Arbeitsamt nicht aufgefallen
ist, dass sie es hier mit einem in keinster Weise Bedürftigen zu tun hatten.«
»Der Arbeitsagentur«, verbesserte ihn sein Kollege.
»Von mir aus auch der Arbeitsagentur. Stellt sich nur die Frage, ob
er es bewusst so gemacht hat, oder ob es ein Fehler der Bank bei der Eröffnung des
Kontos gewesen ist.«
Hain warf ihm einen mitleidigen Blick zu. »Ein Fehler bei der Kontoeröffnung?
Dann glaubst du wohl auch an den Weihnachtsmann …«
»Wie auch immer. Wir müssen auf jeden Fall herausfinden, woher das
Geld stammt. Und vielleicht ergibt sich dadurch ja auch eine Erklärung für das merkwürdige
Verhalten und die Aussagen seiner ältesten Tochter. Und ihrer noch seltsameren
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