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RECKLESS HEARTS

RECKLESS HEARTS

Titel: RECKLESS HEARTS Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eileen Janket
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ist man fast fünfzig und fragt sich, was man in all den Jahrzehnten eigentlich gemacht hat.«
    Selin holte nach der Schrecksekunde tief Luft. Ihr Blick fiel auf den roten Marmeladenklecks auf ihrem Toast, der immer noch darauf wartete, verstrichen zu werden. Sie nahm ihr Messer auf und machte sich an die Arbeit.
    »Meine Mutter ist sehr jung gestorben«, sagte sie mit belegter Stimme, »Sie wäre jetzt genau in ihrem Alter.«
    Sylvie hielt ergriffen inne, ihr Blick fest auf Selin gerichtet, dann seufzte sie tief. Sie hatte es ja irgendwie schon geahnt, nachdem Selin bei der Frage nach der Herkunft ihrer Eltern in der Vergangenheitsform geantwortet hatte. Den Kopf geneigt, die Hände zusammengefaltet, versuchte sie ihr Mitgefühl auszudrücken. »Das tut mir sehr leid für Sie, mein Liebes!« Auch wenn ihr nicht wohl dabei war, die nächste Frage ließ sich nicht umgehen. »Ihr Vater? Was ist ... mit Ihrem Vater?«
    Das war dünnes Eis! Sehr dünnes Eis!
    Für wen, das würde sich gleich zeigen ...
    Selin hob den Kopf. In ihren Augen offenbarte sich der tiefe Schmerz unvermittelt, sie versuchte erst gar nicht, ihn zu verbergen. »Mein Vater starb auch früh«, sagte sie leise. »Meine Eltern sind beide tot.« Dann mit fester Stimme. »Wenn ich einen Wunsch frei hätte, nur einen einzigen Wunsch, würde ich nichts anderes wollen, als sie wiederzusehen! Alle beide! Meine Mutter, meinen Vater ... wenigstens einmal, ein einziges Mal, alle beide wiedersehen!« Ihr unglücklicher Blick fixierte Sylvie, ließ sie nicht mehr los, zog sie regelrecht in ihren Bann, unbeabsichtigt zwar, dafür umso effektiver.
    Für eine Weile herrschte unüberwindbares, trostloses Schweigen, während etwas Unausgesprochenes einen ohrenbetäubenden Lärm in Sylvies Kopf veranstaltete. Sie schluckte, doch es half alles nichts. Etwas hatte sich um ihren Hals geschlungen und ließ nicht mehr locker. Ihr Herz zog sich zusammen, als müsse es sich hart machen, so hart, wie es nur ging, um diesen ungeheuerlichen Feind vor dem Eindringen zu hindern. Fast ein halbes Leben lang war es ihr mit einer maßlosen Selbstbezogenheit gelungen, sich vor ihm zu schützen. Und jetzt drohte ihre Mauer einzustürzen, hatte auf einmal wacklige Ziegel und Löcher, war durchlässig geworden für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, die unzensiert eindringen konnten.
    Um das einsetzende Zittern zu verbergen, legte sie ihre Hände in den Schoß, während sie stumm und reglos da saß.
    »Sylvie, ich wollte Sie mit meiner Geschichte bestimmt nicht belasten«, sagte Selin bestürzt, als sie merkte, dass sie einen Nerv getroffen hatte.
    Härte war sicher ein Teil ihrer Persönlichkeit geworden, aber ein größerer Teil waren Feingefühl und Empathie. Was auch immer in Sylvie gerade vorging, sie musste es nicht allein durchstehen.
    »Es ist unglaublich, wie hoch der Schnee liegt, haben Sie es schon gesehen?«, sagte Selin jetzt, legte dabei sprudelnde Begeisterung in ihre Stimme und versuchte einnehmend zu lächeln. Kurz entschlossen sprang sie auf und stellte sich ans Fenster.
    »Es sieht wunderschön aus. Wer weiß, vielleicht bleibt er bis Weihnachten liegen. Haben Sie Lust mit mir nach draußen zu gehen? Wir könnten etwas herumlaufen. Außerdem brauche ich ein paar neue Sachen zum Anziehen. Wo kann man denn in dieser Gegend shoppen? Ich kenne mich hier überhaupt nicht aus. Sie könnten mich beraten. Und ein Reisebüro wollte ich doch auch aufsuchen, wissen Sie noch? Das war ihre Idee!«
    Hoffnungsvoll wartete sie auf eine Antwort.
    Endlose Sekunden vergingen, in denen Sylvie nur schwer in die Unterhaltung zurückfand. Aber sie schaffte es! Bekam wieder Luft, fiel nicht in den tiefen, dunklen Abgrund, musste sich nicht in ihre einsame Höhle zurückziehen wie ein verletztes Tier! War selber erstaunt darüber, dass das sowohl vertraute, als auch gefürchtete Programm nicht wie gewohnt ablief.
    Doch was würde stattdessen kommen?
    »Aber, ich ... ich bin doch noch erkältet und ... ach, ich weiß nicht.« Hastig trank sie von ihrem Kaffee und setzte klappernd die Tasse ab. Ihre Hände zitterten immer noch ein wenig.
    Tänzelnd kehrte Selin an den Tisch zurück und ließ sich in den Stuhl plumpsen. »Ein bisschen frische Luft tut Ihnen doch bestimmt ganz gut?!«, sagte sie mit aufforderndem Blick, mehr eine Feststellung als eine Frage.
    Sylvie sah sie so ungläubig an, als wäre sie nicht von dieser Welt. Diese Selin hatte ihr Innerstes aufgewühlt und umgekrempelt, ohne

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