Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Reflex

Reflex

Titel: Reflex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dick Francis
Vom Netzwerk:
Fesseln gewollt. Keine erdrückenden emotionalen Abhängigkeiten. Wenn ich mich also gemütlich einnistete, mich in dem Leben, das in diesem Haus gelebt wurde, verankerte, würde ich dann nicht nach kurzer Zeit den Drang verspüren auszubrechen, mit wild schlagenden Flügeln meine Freiheit zu suchen? Ob man sich je grundlegend ändern konnte?
    Samantha las aus meinem Schweigen genau das ab, was ich erwartet hatte, und in ihrem Verhalten war eine leichte Veränderung zu spüren. Sie wurde nicht unfreundlicher, aber die Vertrautheit war dahin. Noch bevor sie mit dem Fenster fertig war, war ich ihr Gast, nicht ihr … ihr was? Ihr Sohn, Bruder, Neffe … ein Teil von ihr.
    Sie schenkte mir ein kurzes oberflächliches Lächeln und setzte Teewasser auf.
    Clare kam von der Arbeit zurück, erschöpft, aber fröhlich, und auch sie war voller Erwartung, wenn sie auch keine Fragen stellte.
    Das Abendessen war noch nicht halb vorüber, als ich mich dabei ertappte, wie ich ihnen von George Millace erzählte. Letztendlich war es überhaupt keine schwere Entscheidung. Nichts fertig Durchdachtes. Es ergab sich ganz natürlich.
    »Es wird euch nicht gefallen«, sagte ich. »Ich habe da weitergemacht, wo George aufgehört hat.«
    Sie hörten zu, die Gabeln in der Luft, aßen mit langen Pausen zwischen den einzelnen Bissen bedächtig Erbsen und Lasagne.
    »Ihr seht also, es ist noch nicht zu Ende«, sagte ich abschließend. »Es gibt kein Zurück, auch wenn ich mir noch so sehr wünsche, daß ich gar nicht erst begonnen hätte … Ich weiß nicht, ob ich mir das wirklich wünsche … aber ich habe euch gebeten, mich für ein paar Tage aufzunehmen, weil ich mich in meinem Haus nicht sicher fühle, und ich gehe erst wieder auf Dauer dorthin zurück, wenn ich weiß, wer versucht hat, mich zu töten.«
    Clare sagte: »Vielleicht erfährst du es nie.«
    »Sag doch so was nicht«, sagte Samantha scharf. »Wenn er es nicht herausfindet …« Sie verstummte.
    Ich redete für sie weiter: »… werde ich mich nicht schützen können.«
    »Vielleicht kann die Polizei …«, sagte Clare.
    »Vielleicht.«
    Den Rest des Abends verbrachten wir eher in nachdenklicher als in deprimierter Stimmung, und aus Swindon gab es gute Neuigkeiten. Jeremys Lungen erholten sich von der Lähmung. Immer noch am Atemgerät, aber einschneidende Besserung in den letzten vierundzwanzig Stunden. Die nüchterne Stimme, die den Bericht vorlas, klang gelangweilt. Ich fragte, ob ich Jeremy schon selbst sprechen könnte. Man würde nachfragen. Die nüchterne Stimme meldete sich wieder. Nicht auf der Intensivstation. Versuchen Sie es am Sonntag.
     
    Am Freitagmorgen verbrachte ich lange Zeit im Badezimmer, um mir den Bart abzurasieren und die nicht aufgelösten Enden des feinen Fadens abzuschnippeln, den die Schwester auf der Unfallstation zum Nähen benutzt hatte. Sie hatte gute Arbeit geleistet, das mußte ich zugeben. Die Risse waren alle geheilt und würden wahrscheinlich keine Narben hinterlassen. Die Schwellungen waren auch zurückgegangen. Ein paar blaue Flecken, die langsam gelb wurden, waren noch übrig, und die abgebrochenen Zähne. Aber was mir schließlich aus dem Spiegel entgegensah, war eindeutig ein Gesicht und kein Alptraum.
    Samantha war erleichtert, daß ich wieder einigermaßen zivilisiert aussah, und bestand darauf, ihren Zahnarzt anzurufen. »Sie brauchen Kronen«, sagte sie. »Und Sie werden Kronen bekommen.« Und am späten Nachmittag bekam ich Kronen. Provisorische, bis Porzellankronen angefertigt werden konnten.
    Zwischen den zwei Behandlungen in der Klinik fuhr ich von London Richtung Norden nach Basildon in Essex, wo eine britische Firma Fotopapier herstellte. Ich fuhr hin, statt anzurufen, weil ich dachte, daß es ihnen schwerer fallen würde, mich abzuspeisen, wenn ich leibhaftig vor ihnen stand; und so war es auch.
    Im Empfangsbüro sagten sie mir höflich, daß ihnen kein Fotomaterial bekannt sei, das wie Plastikfolie oder Schreibmaschinenpapier aussah. Ob ich das Material dabeihätte?
    Nein, hatte ich nicht. Ich wollte nicht, daß es untersucht wurde, falls es lichtempfindlich sei. Könnte ich noch jemand anderen sprechen?
    Schwierig, meinten sie.
    Ich machte keinerlei Anstalten zu gehen. Vielleicht könnte Mr. Christopher mir weiterhelfen, überlegten sie schließlich, wenn er nicht zu beschäftigt sei.
    Mr. Christopher war etwa neunzehn, mit einem asozialen Haarschnitt und einer chronischen Erkältung. Dennoch hörte er aufmerksam zu.
    »Ist

Weitere Kostenlose Bücher