Regeln des Tanzes: Roman (German Edition)
Trinken und dachte im Traum, er erkenne jetzt erst, welche Lust das Essen und Trinken bedeuteten, und dass er nun wisse, was das Absolute sei, nämlich das Jetzt des Aufessens und des Genusses. Die Welt ist in dir und du bist in der Welt. Er freute sich nicht über diesen Gedanken, er bekam Angst, er müsste erbrechen, wachte auf, nahm ein Pantoloc und schlief wieder ein. Abends saß er noch mit einer Weinflasche oder einem Glas spanischen Brandys in der Hand da, wenn Pre schon schlafengegangen war, in einer verlangsamten Zeit, hinter dem Fenster die Pflanzen, die in der Nacht nur noch intensiver leuchteten, der Balkon, der beinah ein Lebewesen war, der dunkle Innenhof, ein Schacht, der dunklere Himmel, ein tieferer Schacht, es war ruhig im Zimmer und ruhig draußen, unglaubwürdig ruhig. Einen Moment lang ist er trunken vor Glück, in der unglaubwürdigen Umgebung dieses schrecklich geschmackvoll eingerichteten Wohnzimmers, mit den unglaubwürdigen Pflanzen auf dem Balkon, dem unglaubwürdigen Flachbildfernseher und dem unglaubwürdigen Laptop Pres, die nicht im Raum ist, auf dem Schreibtisch, dann, in einem plötzlichen Umkippen, beginnt er, sich für sich selbst und alles, was ihn ausmacht, zu schämen, vor wem denn, vor Vater und Mutter, vor dem Fremden, das ihn anschaut, in dieser würgenden Ruhe, vor der Zeit, die ihn mitreißt, und der er nichts entgegensetzt. Er trinkt sein Glas aus und widersteht der Versuchung, eine neue Flasche zu öffnen, gleich wird er schlafen wie bewusstlos und sich morgen trotzdem an alle seine Träume erinnern.
In den Zeitungen, im Standard und im Falter , ist in langen Artikeln und Analysen die Rede von der Rolle neuer Kommunikationsformen für die Widerstandsbewegung, sie hat das Gefühl, den Kontakt zu allen Menschen zu verlieren. Per SMS und Mailketten verständigen sich die Demonstranten und gleiten auf spontanen und flexiblen Routen durch die Stadt, manchmal bekommt sie ein E-Mail, manchmal einen Anruf, es gibt, vor der für einen Samstag Mitte Februar geplanten Großdemonstration am Heldenplatz, jeden Tag kleinere Demos mit einigen hundert oder einigen tausend, manchmal zehntausend Teilnehmern. Oft läuft sie mit; die meisten, die ihre Telefonnummer oder ihre E-Mail-Adresse haben, kennen Mona gar nicht, was ihr nun seltsam erscheint, aber dann und wann, wenn sie jemand näher Bekannten trifft, muss sie Fragen abblocken und fragt sich wiederum, woher diese Leute, ihre Freunde, denen sie niemals etwas Wichtiges erzählen würde, überhaupt ihr Wissen haben; wie sich denn diese Art von Nachrichten, die nach der ehrwürdigen Trennung der Lebensbereiche dem Privaten angehören würde, fortpflanzt, die Neugier, das Mitgefühl (die »Anteilnahme«) und die Sorge, durchmischt mit Ratlosigkeit darüber, dass sie sich überhaupt dermaßen zu sorgen scheint, sind ihr widerlich, es ist niemand gestorben, sagt sie, und ist froh, wenn diese Leute, ihre Freunde, weggehen und unter sich bleiben. Auf den Demos spürt sie den Zorn und die Euphorie, doch sie haben wenig mit ihr oder den anderen Demonstranten zu tun, sondern scheinen in den Straßen zu stecken, in der Luft zu liegen, ganz buchstäblich. Man atmet sie Schritt für Schritt ein. Das Schlüsselrasseln, das Hupen der in den Straßen aufgehaltenen Autos, das Winken aus Fenstern und von Balkonen macht sie glücklich, oder es macht das in ihr glücklich, was zu den Straßen gehört, in der Luft daheim ist, sie will nicht wissen, wer mit den Schlüsseln klappert, sie selbst oder irgendwer, es interessiert sie nicht, wer in den Autos sitzt und hupt, wer aus den Fenstern herunterwinkt. All das ist ein fragiler Zustand. An einer größeren Kreuzung ruft ein älterer Mann aus einem grünen Wagen einem Polizisten etwas zu: Jeden Tag das Theater, wissens, was ich mit denen machen würd, er fährt sich scharf mit der Handkante dem Hals entlang, der Polizist zuckt mit den Schultern, sie bekommt Lust, zum Auto hinzugehen und dem Mann einen Faustschlag ins Gesicht zu geben, etwas durchzischt sie, fick dich, du Nazisau, ruft sie zu dem Mann hin und weiß, dass es viel gescheiter wäre, ihn zu ignorieren, wie es im Grunde gescheiter wäre, alles und jeden zu ignorieren. Ihre Stimme hört sich heiser und hohl an, sie ist sich nicht sicher, ob sie für andere hörbar ist. Sie ist sich nicht sicher, ob andere als sie den Autofahrer, den Polizisten hören und sehen. Jemand klatscht ihr zu, der Polizist winkt das grüne Auto mit dem älteren Mann am
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