Regency Reality-Show
natürlich entdeckte er auch prompt, dass ich leise weinte. Ich hasste mich und irgendwie auch ihn dafür, konnte die Tränen aber nicht stoppen, die immer dichter aus meinen Augen aufs Kopfkissen liefen.
„Den Schnitt im Gesicht kann ich zusammenkleben. Wenn man das sauber macht, bleibt hinterher kaum je eine Narbe zurück. Aber erst will ich den Splitter entfernen und alle Wunden reinigen. Hier habe ich Ihnen ein paar Tropfen gegen die Schmerzen. Es wird stechen und brennen, wenn ich Sie behandle.“ Milford sah mir entschuldigend ins Gesicht, als ob er schuld wäre, dass er mich gleich quälen musste.
Die Reinigungslösung brannte tatsächlich teuflisch und als meine Knie abgetupft wurden schnappte ich nach Luft. Robert zuckte jedes Mal zusammen, wenn der Wattebausch wieder meine Haut berührte, bis Milford ihn schliesslich entnervt aus dem Zimmer schickte. „Frisch Verliebte“ murmelte er dabei zu sich selber. Das gab neuen Gedankenstoff für mich: Frisch verliebt – konnte es sein, dass er sich tatsächlich inzwischen in mich verliebt hatte, nur ein ganz klein wenig vielleicht? Die Woche mit ihm war himmlisch gewesen. Wenn er sie mindestens halb so sehr genossen hatte, wäre es nicht abwegig, wenn er mich nun etwas mehr mochte, oder?
Kapitel 6
Zur Abwechslung amüsierte er sich ausnahmsweise einmal. Vielleicht sollte er sich gar nicht so sehr anstrengen, ihr Steine in den Weg zu legen. Wenn er der Natur nur ihren freien Lauf liess, schaffte sie es auch ohne seine Hilfe, dank ihrer Tollpatschigkeit, einen fatalen Unfall zu erleiden. Ihr Taucher in den See war jedenfalls zum Schiessen komisch, dass sie danach mit blutüberströmtem Gesicht ins Haus getragen worden war, hätte schon für einen kleinen tiefen Zug aus dem Siegerstumpen gereicht.
Ob er einen weiteren Zwischenfall inszenieren konnte, bei dem sie etwas weniger glimpflich davon käme? Mal sehen, was sich machen liess.
***
Wieder mussten die Partygäste auf unsere Gesellschaft verzichten. Dieses Mal war es allerdings auf Anordnung des Arztes. Er hatte mir zwei Tage völlige Bettruhe verordnet. Nicht einmal einen Besuch bei Flora hatte er mir gestattet und an ein Davonschleichen war neben Robert gar nicht zu denken. Wenigstens besuchte mich Scott täglich mehrmals und brachte mir alle wissenswerten Neuigkeiten vom Stall mit. Dabei redete er nicht nur von meiner Araberstute, sondern auch von anderen Tieren und ihren Haltern. Da gab es viel zu lachen, denn einige schienen völlig ihre gute Kinderstube zu vergessen, wenn ihr edles Reitpferd sich eher wie ein bockiger Esel benahm. Offensichtlich war längst nicht jeder hier ein geübter Reiter oder zumindest ein veritabler Pferdeliebhaber. Einige hatten möglicherweise bei der Anmeldung leicht geschummelt, als nach Schauspielern mit ihren eigenen Pferden gesucht worden war – mir konnte es recht sein. So hatte ich mich wenigstens nicht als einzige zum Affen gemacht. Nur machte ich mir grosse Sorgen, dass die armen Tiere nicht die professionelle Betreuung erhielten, die ihnen zustand und sie gar gequält würden. Zum Glück konnte Scott mich diesbezüglich beruhigen, und wenn er sich keine Sorgen machte, er der täglich hautnah dabei war und sich mit den Pferden toll verstand und auskannte, dann musste ich mir keinen Kopf machen.
Die lustigen Besuche von Scott waren zu einem regelrechten Ritual avanciert. Kaum war er durch die Zimmertüre, galoppierte er wiehernd an mein Bett und richtete mir die allerherzlichsten Grüsse von Flora aus, dann erzählte er Geschichten und wenn er sich von den anderen unbeobachtet fühlte, formte er mit den Lippen stumm das Wort ‚Zwerg‘ und wackelte dabei mit den Ohren.
Auch die anderen gaben sich Mühe, mich aufzuheitern. Vorrangig ging es ihnen dabei allerdings wohl eher darum, mich am Aufstehen zu hindern, leider mit Erfolg.
Morag las mir aus zahlreichen gotischen Novellen vor, die sie in der hauseigenen Bibliothek gefunden hatte und die lustigsten Szenen spielte sie mit Grant nach. Es war zum Schreien komisch, was eine echte Herausforderung für mich darstellte, da ich mit dem zusammengeklebten Gesicht nicht lachen konnte, oder wenigsten nicht lachen sollte. Einmal musste Milford zwei Stellen neu kleben. Insgesamt war er mit meiner Genesung aber zufrieden.
„Baron, wie kommt es eigentlich, dass ein Edelmann wie Sie Arzt wird?“ wollte ich bei einem seiner Besuche wissen.
„Als ich gerade frisch vom Wirtschaftsstudium
Weitere Kostenlose Bücher