Regency Reality-Show
„Hätten Sie eine Ecke im Stall wo Flora und ich schlafen könnten – und vielleicht etwas Wasser und Hafer.“ fügte ich schüchtern hinzu.
„Aber, aber. Natürlich können Sie hier bleiben. Sie sind hier in Schottland. Haben Sie noch nie von der Gastfreundschaft der Schotten gehört? Wir weisen keinem Bedürftigen die Tür.“ Dann meinte er an seinen Jungen gewannt: „Geh, hol rasch Mutter, wir haben einen Gast.“
Bald schon lag ich in eine warme Decke gehüllt auf dem Sofa neben der Küche und hielt eine dampfende Tasse Tee umklammert. Flora ging es im Stall bestimmt ebenso gut. Die Menschen hier schienen Gastfreundschaft richtiggehend zu zelebrieren. Ob alle Schotten so unkompliziert und herzlich waren?
Ewan – immer wieder schwenkten meine Gedanken zurück zu meiner verlorenen Liebe. Warum musste ich mich in einen Mann verlieben, der völlig unerreichbar war? Wozu hatte das Schicksal uns zusammen geführt, um uns gleich wieder auseinander zu reissen? Gab es in der Weite des Universums jemand der die Fäden spannte und sich königlich über die dummen Gefühle einer gewissen Lea Tobler freute?
Ich hatte gar nicht bemerkt, wie die Tränen mir wieder mal die Wangen runter liefen, bis die kleine Tochter der Bauersleute ungelenk auf meinen Schoss krabbelte und über meine Wangen strich, ihre nassen Fingerchen danach neugierig betrachtete und sie ableckte. Diese Erfahrung schien sie neugierig auf mehr gemacht zu haben, denn sie beugte sich zu mir und leckte an einer langen nassen Spur von meinem rechten Auge bis hinunter zum Kinn. Das fühlte sich an, wie von einem Hund begrüsst zu werden, nur dass dieses kleine Mädchen mich dazu fragend ansah. Als ich kichern musste, jauchzte es vor Freude und klatschte in seine Patschhändchen.
Nach dem Essen wurde ich aufgefordert, auf dem alten Klavier alte schottische Folk slieder zu spielen. Auch hier kannte man meine Talente – und natürlich auch alles andere – aus der Fernsehsendung. Die Kinder freuten sich als ich ihnen noch zwei deutsche Kinderlieder vortrug, bevor sie ins Bett mussten.
Ich erhielt ein eigenes kleines Zimmer direkt unter dem Dach. Das Bett war frisch bezogen und ein Nachthemd, Handtücher und sogar eine Zahnbürste lagen bereit. Die aufmerksame Gastgeberin musste bemerkt haben, dass ich ohne Gepäck reiste. Wie rücksichtsvoll und nett! Ich musste unbedingt Grossvater von dieser Familie erzählen. Vielleicht sah er eine Möglichkeit geschäftlich mit ihnen in Kontakt zu treten und ihnen auf diese Weise etwas zurückzugeben, ohne ihren Stolz zu verletzen.
***
Wie spät war es? Ich knipste das Licht an. Vier Uhr morgens. Arbeiteten Bauersleute so früh am Morgen? Ich hörte, wie jemand die Treppe runter polterte. Leise schlich ich zur Tür und öffnete sie einen Spalt. Dann vernahm ich das Quietschen der Haustüre und erstarrte. Von unten ertönte nämlich deutlich Ewans Stimme und er schien sich nach mir zu erkundigen.
„Ja die ist hier. Sie schläft unter dem Dach.“ Gab der nette Bauer Auskunft, was ihn sofort unsympathischer erscheinen liess.
„Zeigen Sie mir bitte den Weg.“
„Kein Problem, Eure Lordschaft. Bitte hier entlang.“
Oh nein, er war auf dem Weg zu mir hinauf. Rasch eilte ich zum kleinen Fenster, riss es auf und überprüfte die Lage. Kein Entkommen auf diesem Wege. Also weiter. Ich schnappte meine Kleider vom einzigen Stuhl, der neben dem Bett stand und schlich aus dem Zimmer. Eine schmale Leiter, die versteckt an der hinteren Wand lehnte, führte auf den Dachboden, der in der Mitte, wo das Dach am höchsten war, über die ganze Länge des Hauses verlief. Leise kämpfte ich mich in gebückter Haltung bis zum hintersten Teil des langen Raumes vor. Bestimmt stand ich nun über dem Kuhstall. Ich sah mich um, ob es von hier einen direkten Weg runter gab. Das Glück war mir endlich einmal hold – rasch zog ich mich an und kletterte durch die schmale Öffnung und spähte kurz darauf ins Freie.
Es war immer noch stockdunkel. Wenn ich es anstellte, wie bei meinem nächtlichen Ausritt kürzlich, könnte ich möglicherweise ungesehen entkommen. Offensichtlich hatte Ewan meine Flora bereits aus dem Stall geholt. Sie stand jetzt wartend neben Black Jack.
Als ich mir sicher war, dass niemand hier war, eilte ich hinüber zu den Pferden, zerriss das Nachthemd, das ich nicht hatte auf dem Dachboden liegen lassen wollen, weil es mich hätte verraten können, und band es so schnell wie möglich um alle acht Hufe. Dann
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