Regina schafft es doch
in die Hand – den Bären, den Fuchs, den Hund. Sie betrachtete sie, hielt sie behutsam zwischen ihren Fingern. Dann legte sie sie plötzlich hin, schlug die Hände vors Gesicht und weinte…
Blaß und schmal stand Regina vor ihrem „Brunnenkind“. Ihre Hände bauten, formten, schufen. Und ihre Gedanken kreisten und kreisten nur um eins. Sie wiederholte Worte für sich, die gesprochen worden waren, versuchte, einen Zusammenhang herzustellen. Ein kleines Stück Erinnerung nach dem anderen tauchte wieder auf, fügte sich zu einem Muster zusammen, bildete ein trostloses Mosaik.
„Ich möchte dich gern ein wenig für mich allein haben – wir wollen einige Wochen ganz, ganz für uns haben…“
Ja, das stimmte.
Ganz klar, daß er nicht vor alle Welt hintreten und sagen konnte: „Seht, dies ist Regina, dies ist die Frau, die ich heiraten werde“, wenn er eine andere hatte, die genau dasselbe von ihm erwartete.
„Gesetzt den Fall, ich könnte dich mit Hilfe einer Lüge vor etwas bewahren, das dir sehr schmerzlich wäre…“
Ja, jetzt verstand sie! So war Gerts Charakter im tiefsten Grunde. Reizend, amüsant, warm, liebevoll – und feige! Feige, feige! Lieber lügen, als eine unangenehme Wahrheit aussprechen, lieber ein falsches Ehrenwort geben, als gründlich reinen Tisch machen und eine Sache klarlegen und aus der Welt schaffen!
Ich habe mich geirrt, sagte Regina bei sich. Ich habe mich geirrt, ich bin blind gewesen, ich bin die schlechteste Menschenkennerin der Welt.
Laß es hinter dir, Regina. Schieb es von dir! Denk in die Zukunft, denke nicht an das, was vergangen ist.
In die Zukunft denken, ja! In eine Zukunft ohne Gert!
Die Gedanken bohrten und bohrten in ihrem Kopfe, während ihre Hände formten und schufen.
Dann hörte sie auf.
Sie mußte etwas anderes tun, etwas, das die Gedanken beschäftigte. Sie mußte schnell und konzentriert an irgend etwas arbeiten.
Wie vormittags bei Katrin, nahm sie einen Klumpen Ton, machte, was ihr gerade in den Sinn kam – schnelle kleine Entwürfe, kleine Klumpen, die sich eins, zwei, drei unter ihren Händen in Tiere verwandelten. Ein Kätzchen – einen kleinen Vogel – ein Eichhörnchen mit buschigem Schwanz – , ja, dies war genau das Richtige: Immerzu etwas Neues, nicht dastehen müssen und an der Kindergestalt schaben und schaben. Die war im Grunde fertig, die konnte nicht besser werden. Jetzt wollte sie versuchen, einen kleinen Esel zu machen, schnell, es mußte so schnell gehen wie damals, wenn sie auf der Akademie Krokie gezeichnet hatten – ach, das beanspruchte die Gedanken, jetzt liefen ihre Finger um die Wette mit sich selber – , ein lustiges neues Spiel. Skizzieren in Ton – und sie würde diese Sachen brennen lassen und sie Mortensen bringen – , Expreß-Bildhauerkunst…
Regina machte groteske kleine Figuren, bis sie vor Müdigkeit fast umfiel.
Dann taumelte sie in ihr Bett und dachte nicht daran, daß sie den ganzen Tag nichts gegessen hatte. Die Schlaftablette am vergangenen Abend wirkte nach, und sie glitt in einen tiefen, schweren Schlaf hinüber.
Regina ist ein Trotzkopf
Vom Briefkasten an der Tür ertönte ein Bums, und Regina stand mit einer müden Bewegung auf. Sie wußte im voraus, was es war. Eine Karte von Gert.
Eine schnell hingeworfene kleine Karte, in einem Restaurant auf dem Bürgersteig geschrieben oder in der Frühstückspause oder abends im Bett. Nicht einen einzigen Brief hatte sie bekommen, nur diese kurzen Karten.
Ganz recht. Da lag eine Karte von Gert, und ein Brief lag auch da.
Zunächst die Karte:
Liebste Regina, ich warte sehr auf ein Wort von Dir, Du bist mir doch nicht böse wegen meiner kleinen weißen Lüge? Habe tausend Dinge, die ich Dir erzählen möchte, Dir sagen, Dir erklären – aber das muß warten. Ich bin ein schlechter Briefschreiber, ich sagte es im voraus. Ich lasse darum alles liegen, bis wir uns treffen, und begnüge mich damit, Dir noch einmal zu sagen, daß i. D. l.!!
Dein G.
Reginas Gesicht verzog sich. Sie legte die Karte beiseite. Das war also seine einzige Reaktion – er hatte ihr tausend Dinge zu erzählen und zu erklären! Ach ja, eine Erklärung zusammenzuschustern! Dazu brauchte er bestimmt Zeit!
Sie griff nach dem Brief. Was war denn das? Eine völlig unbekannte Handschrift, adressiert an Mortensens Kunsthandlung und von dort umadressiert.
Was in aller Welt war das?
Sie sah nach dem Poststempel. Kattenbüttel – sie kannte doch niemanden in
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