Reid 2 Die ungehorsame Braut
er mir helfen möchte.«
»Ihnen helfen?« Sadie runzelte die Stirn. »Wie soll es Ihnen denn helfen, wenn er sich mit Ihnen davonschleicht? Das würde mich brennend interessieren.«
»Er will mir vor Augen führen, was für ein gemeiner, schlechter Mensch ich doch bin«, sagte Ophelia sarkastisch. »Wenn
ich die Situation richtig einschätze, wird er sich nicht eher zufriedengeben, bis ich mich von Grund auf geändert habe und mir die Liebenswürdigkeit aus den Poren trieft.«
Sadie johlte. »Das hat er Ihnen gesagt? Das ist doch...«
»Es war ihm ernst.«
»Na ja, dann zeigen Sie ihm halt, wie herzlich Sie sein können.«
»Den Teufel werde ich tun!«
»Ich kann mir vorstellen, wie aufwühlend das alles sein muss, aber wenn es uns wieder nach Hause bringt, sollten Sie... Ist ja auch egal. Ich glaube diesen Humbug ohnehin nicht. Sind Sie sich sicher, dass er nicht doch heimlich sein Herz an Sie verloren und Sie hierhergebracht hat, um Ihnen in Allerseelenruhe den Hof zu machen? Für mich ist das die einzige logische Erklärung. Immerhin hatten Sie beide einen recht holprigen Start.«
»Seitdem ist es steil bergab gegangen. Er macht nicht einmal einen Hehl aus seiner Abneigung.«
Sadie war trotzdem noch immer nicht überzeugt. »Das könnte alles zur Strategie gehören. Ein ziemlich alter Trick, müssen Sie wissen.«
»Was?«
»Er will Sie glauben machen, Sie könnten ihn nicht haben«, antwortete Sadie, als läge es klar auf der Hand. »Bei den meisten Menschen funktioniert es, man muss ihnen nur vorgaukeln, man sei unerreichbar. Damit schürt man das Interesse an der eigenen Person gewaltig.«
Ophelia schnaubte. »Da kennt dieser grobe Klotz mich aber schlecht.«
»Aber das weiß er ja nicht - noch nicht.«
Ophelia zog die Augenbrauen in die Höhe. Vielleicht sollte sie sich die Zeit nehmen, über Sadies Einwurf ein wenig nachzudenken - doch nein, welch ein törichter Gedanke. Aber nicht so töricht wie Raphaels Erklärung, dass er sie zu einem anderen Mensch machen wollte. Sie? Ein anderer Mensch? Und das, obwohl er keinen blassen Schimmer hatte, mit wem er es eigentlich zu tun hatte?
Sie schüttelte den Kopf. »Glaub mir, ich erkenne genau, wann ein Mann mich heimlich bewundert. Sobald dieser Locke auch nur das Wort an mich richtet, beleidigt er mich. Es macht ihm Spaß, mir vorzuhalten, niemand würde mich mögen. Er hat mich gemein und boshaft geschimpft. Er ist genauso niederträchtig wie Mavis. Hat nicht einmal davor zurückgeschreckt, mich ein zänkisches Weib zu schimpfen!«
»Mit Verlaub, aber zuweilen sind Sie in der Tat ein wenig kratzbürstig.«
»Aber nie ohne Grund! Ich bin diese ständige Heuchelei satt. Und seit dem Beginn der Saison ist alles noch viel schlimmer. Ich weiß überhaupt nicht mehr, wem ich noch vertrauen kann -mit Ausnahme meiner Mutter und dir, versteht sich. Und du weißt, dass die Hälfte der Dinge, die ich sage oder tue, erst nach reiflicher Überlegung erfolgt. Aber manchmal habe ich meinen Groll eben nicht im Griff.«
»Ich weiß.« Sadie setzte sich neben Ophelia und legte ihr den Arm um die Schulter.
»Das tut weh.«
»Ich weiß«, sagte Sadie mitfühlend. »Habe ich übrigens schon erwähnt, dass es schneit? Das war der eigentliche Grund, warum ich Sie aufgesucht habe«, schob sie schnell hinterher, damit Ophelia nicht noch einmal in Tränen ausbrach.
»Ernsthaft? Es schneit?«
Unter anderen Umständen hätte Ophelia bei dieser Nachricht einen Freudenschrei ausgestoßen. Nicht so in diesem Moment, zu groß war die Niedergeschlagenheit. Dennoch glitt ihr Blick wie von selbst zu den Fenstern, die hinter den weißen Vorhängen verborgen lagen. Mit einem Mal wünschte sie sich, sie hätte es Sadie doch erlaubt, sie am Morgen zurückzuziehen. Doch stattdessen hatte sie die Zofe angeraunzt, es sein zu lassen, weil es ohnehin nichts gab, auf das es sich zu blicken lohnte.
Ophelia war ein Eckzimmer zugewiesen worden, von dessen zahlreichen Fenstern aus sie in die trostlose Einöde sehen konnte. Es war zweckdienlich eingerichtet, nahm allerdings nur in begrenztem Rahmen Rücksicht auf die Bedürfnisse einer Frau. Es gab keinen Toilettentisch, dafür aber einen wundervoll gearbeiteten Sekretär aus Kirschholz, der rundherum mit aufwendigen Intarsien verziert war, die Beine eingeschlossen. Davor stand ein passender Stuhl. Zwischen zwei Fenstern lud ein ausladender Sessel zum Lesen ein, und auf der anderen Seite befand sich ein hohes Bücherregal. Ferner gab es
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