Rein Wie Der Tod
betrachtete sein hartes, aber zugleich auch angestrengt ruhiges Gesicht.
»Gehen Sie nur«, sagte er.
Ståle rutschte unruhig auf seinem Stuhl herum, aber Frank Frølich beachtete ihn nicht.
»Sie meinen, ich kann jetzt gehen?«
»Selbstverständlich.«
Der Junge mit der gelben Weste und der blauen Arbeitshose stand auf, zögernd. Er schlich zur Tür und drehte sich um. »Sie hätten mich über mein Recht informieren müssen, die Aussage zu verweigern«, sagte er altklug. »Jetzt kann ich Sie anzeigen.«
Frølich nickte.
»Ich glaube, das mache ich auch.«
Frølich nickte wieder.
Andreas drehte sich zur Tür und öffnete sie.
»Andreas«, sagte Frølich.
Der warf einen Blick über die Schulter.
»Sie sind in letzter Zeit ganz schön fit in juristischen Dingen, haben gut aufgepasst. Ich bin richtig beeindruckt. Aber nur eine Frage noch: Warum haben Sie das so gut geübt?«
Als Andreas nicht antwortete, zielte Frølich theatralisch mit dem Zeigefinger auf ihn und drückte ab.
»Pjiu«, zischte er, als sich die Tür schloss.
»Du bist zu weich, Frank«, stellte Ståle Sender fest.
»Er lügt«, sagte Frølich. »Wir wissen, er hat sie am Mittwoch zum Studentenwohnheim gefahren. Aber Rosalind M'Taya hat allein dort eingecheckt. Das Problem ist, dass wir nach dem Einchecken nichts mehr in der Hand haben. Sie war gesund und munter, nahm an den Aktivitäten der Sommeruniversität teil und schlief zwei Nächte im Studentenheim, bevor sie verschwand. Es vergehen also ganze zwei Tage nach der Begegnung mit Andreas, bis sie verschwindet. Ich werde den Jungen noch öfter befragen, aber zuerst muss ich etwas mehr wissen.«
Frølich stand auf.
»Grüß Lena«, sagte der Kollege.
»Hast du ihr gesagt, dass du verheiratet bist?«, fragte Frølich. Der Kommentar sollte bissig sein, klang aber einfach nur platt.
Ståle Sender grinste. »Der Schein trügt, Frank. Das habe ich Lena schon beim ersten Mal gesagt. Du weißt nie, was unter der Motorhaube eines Autos steckt, hab ich gesagt, auch wenn ein Auto ein paar Kratzer im Lack hat, erst wenn du hinterm Steuer sitzt, kannst du aufs Gas treten.«
Frank Frølich blieb eine Antwort schuldig, wie so oft, wenn er diesem Mann begegnete.
»Sie fährt immer noch, Frank. Und das sag ich den Jungs immer: Es ist vielleicht billiger, ein kleines, billiges Auto zu fahren, aber beim Fahren geht's nicht nur ums Geld auf der Bank. Da geht's auch um Komfort. In einem kleinen Auto da holperst du die Straßen längs und wirst in den Kurven hin und her geschüttelt, und wenn du ankommst, bist du viel müder, als wenn du gemütlich in einem Amerikaner mit ordentlichem Motor und vernünftiger Federung gesessen hättest.«
Was willst du mir eigentlich damit sagen, dachte Frølich, aber er konnte sich nicht überwinden, es auszusprechen. Stattdessen machte er auf dem Absatz kehrt und ging.
13
»Veronika Undsets letzter Tag«, sagte Rindal und steckte beide Hände in die Hosentaschen. In brauner Hose und weißem, weit aufgeknöpftem Hemd erinnerte er wie immer an Gene Hackman. Blonde Haarwellen über den Ohren, sonnengebräunter Schädel, es fehlte nur das Kaugummi, dachte Frølich. Als habe er telepathische Fähigkeiten, packte Rindal ein Extra aus und schob es sich zwischen die Zähne. Hackman in Enemy of the State.
Frølichs Blick folgte einem Stromkabel von der Steckdose in der Wand bis zur Verteilerbox und weiter zur Leuchtröhrenarmatur. Es erinnerte an den Rallyestreifen am Kajak von Karl Anders. Einen Sommer waren sie fast jeden Tag in dem Zweierkajak auf dem Bogstadvannet gepaddelt. Eigentlich war es Franks Projekt gewesen. Er hatte sich ein bisschen in ein Schweizer Mädchen verknallt, das er mehrere Tage hintereinander auf einem schwimmenden Anleger beobachtet hatte. Sie arbeitete als Au-pair bei einer Familie irgendwo in der Weststadt, und jeden Tag nahm sie die Kinder der Familie mit zum Bogstadvannet, um zu baden. Heute musste er über seine damalige Durchschaubarkeit lächeln. Die ganzen Ausreden, um erst Karl Anders wegen des Kajaks anzurufen und dann ...
»Hallo!«, brüllte Rindal.
Frank schrak zusammen. Lena Stigersand und Emil Yttergjerde vermieden beide, ihn anzusehen.
»Um fünf nach drei am Montag, den 6. Juli - an dem Tag, als Veronika Undset ermordet wurde, hast du sie in ihrem Büro getroffen. Wann bist du da weggefahren?«
»Ungefähr um halb vier. Da war nicht viel zu holen. Sie hat zugegeben, dass das Einbruchsopfer Regine Haraldsen ihre Kundin war.
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