Reinen Herzens
Gedanken auf den ruhigen See hinaus. Die Geschichte, die John ihr erzählt hatte, ging ihr nicht aus dem Kopf. Sie verstand nur noch immer nicht, was alte, inzwischen längst geschlossene Uranbergwerke mit seinen roten Rosen zu tun haben sollten. Offensichtlich hatte man die Bergwerke geschlossen, weil es eben kein Uran mehr dort gab. Und wenn es sich nicht um Uran, sondern um Quecksilber – rotes oder sonst welches – handelte, dann war die ganze Sache schlichtweg lachhaft. Absurde Geschichte. John hatte einfach eine blühende Fantasie. Sie sollte sich lieber um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern. Sie nahm Johns Visitenkarte und übertrug seine Telefonnummer vorsichtshalber in ihr Handy. Und jetzt? Draußen war weit und breit kein Mensch, und ihre heiße Schokolade war leer. Kein Grund, länger zu bleiben. Schließlich war sie nicht zu ihrem Vergnügen hier. Sie wollte etwas tun, irgendwas, Hauptsache, etwas bewegte sich, und wenn nur sie selbst es sein würde. Vielleicht sollte sie einen Spaziergang machen, erst zum Försterhaus und dann ein Stück durch den Wald oder in die andere Richtung, zu dieser Bushaltestelle, an der sie vorhin vorbeigekommen waren. Sie packte ihre Sachen zusammen und verließ eilig das Lokal. Draußen wandte sie sich nach rechts und spazierte Richtung Försterhaus. Sie wäre gerne direkt am Ufer entlanggegangen, doch dort war ein Freibad, das geschlossen war. Im Sommer musste das ein herrlicher Badeplatz sein. Sie war wie von der Tarantel gestochen aus dem Lokal gelaufen, doch schon bald wurden ihre Schritte langsamer, und sie begann, den Spaziergang zu genießen. Als sie in den Feldweg einbog, der zum Försterhaus führte, sah sie einen Mann, der durch das Gartentor zum Haus ging. Sie lief los.
»Entschuldigen Sie bitte«, rief sie, als sie atemlos ankam, »Sind Sie zufällig Gustav Mottl? Der Förster?«
Der Mann drehte sich überrascht um. Er trug einen schlammgrünen Parka und Jeans, dazu schwere Stiefel, über der Schulter ein Gewehr und auf dem Kopf eine dicke schwarze Mütze. »Ja, der bin ich. Kann ich Ihnen helfen?« Er kam langsam den Gartenweg hinunter zurück ans Tor.
»Mein Name ist Larissa Khek. Ich bin Reporterin bei der Prague Post und würde gerne mit Ihnen sprechen … über ein paar Dinge.«
Mottl sah sie nachdenklich an. In seinem Gesicht spiegelte sich ein gewisses Misstrauen, aber er wirkte nicht unfreundlich. »So, eine Journalistin. Ein Kollege von Ihnen war neulich auch schon hier. Habe noch nie mit so vielen Reportern gesprochen. Na, meinetwegen. Kommen Sie rein.«
Das Innere des Försterhauses war ebenso gepflegt wie das Äußere. Rustikal, aber durchaus geschmackvoll eingerichtet, mit dunklen, offensichtlich alten Möbeln und kaum Firlefanz. Nur auf dem Kamin im Wohnzimmer stand ein ganzes Sammelsurium von Fotorahmen. In einer Ecke bemerkte sie eine steinalte Singer-Nähmaschine mit Tretpedal. Hübsches Stück, dachte sie, so eine hatte ihre Mutter auch. Sie war zwar noch funktionsfähig, wurde aber nicht mehr benutzt, so wie die hier offenbar auch – auf dem Nähtischchen stand Mottls Telefon. Der Förster bat Larissa, Platz zu nehmen.
»Ich mache uns einen Tee. Ist verdammt kalt draußen.« Er verschwand im Flur, und bald hörte Larissa das Klappern von Geschirr.
Sie ging zum Kamin hinüber und betrachtete die Fotos. Entgegen ihrer Erwartung waren es keine Familienbilder, sondern Aufnahmen von Jugendgruppen und irgendwelchen Leuten beim Schießen. Beim vorletzten Bild stutzte sie. Das war doch … natürlich, David Anděl war ja von hier. Es zeigte den Kommissar, der lässig an einem Balken lehnte und lächelte, offenbar auf einem Schießstand im Wald. Das Foto versetzte ihr einen Stich, sie ließ ihren Blick schnell weiterwandern zur letzten Aufnahme in der Reihe – ein Mädchen, vielleicht elf oder zwölf Jahre alt, mit kurzem, dunklem Haar, das ernst in die Kamera blickte.
»So, ich habe auch Rum mitgebracht«, sagte Mottl, der mit einem Tablett das Wohnzimmer betrat. Er stellte es auf dem Couchtisch ab und warf ihr einen Blick zu. »Das ist Hermiona. Die kleine Waldfee.« Er lächelte.
»Ihre Enkelin?«, fragte Larissa.
»Nein, ich habe keine Verwandten mehr. Sie ist die Enkelin einer Bekannten. Wohnt nicht weit von hier, und sie liebt den Wald und die Tiere. Sie geht manchmal mit mir auf die Pirsch. – Nehmen Sie Zucker?«
Larissa nickte. Dann deutete sie auf das Foto daneben. »Ich habe gerade festgestellt, dass wir einen gemeinsamen
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