Reise nach Genf
Großmächtiger aus der Politik ruft einen Killer an und sagt: Tu mir mal eben den Gefallen und lege Watermann um! Glaubst du so einen Schmarren?«
»Hältst du politische Morde für möglich?«
»Natürlich.«
»Hast du eine Vorstellung, wie sie ablaufen?«
»Nein, habe ich nicht. Ich stelle mir ein Gremium vor, das entscheidet, dieser oder jener muß weggeschafft werden, und dann …«
»So läuft es eben nicht ab. Nehmen wir unseren Fall, nehmen wir Watermann. Watermann fliegt mit Ehefrau in den Urlaub. Dann schmeißen ihn die eigenen Parteigenossen aus dem Landtag. Das war eine Panne, ich gehe jede Wette ein, daß dies die Superpanne im ganzen Durcheinander war. Watermann liest von seinem Rausschmiß in der Zeitung und dreht durch. Er hat sein ganzes Leben für die Partei geschuftet, er hat für sie gelebt. Sie hat ihn großgemacht, aber er hat sie auch gestärkt. Jetzt schmeißen ihn dieselben Leute, die ihm vorher in den Arsch gekrochen sind, aus dem Verein heraus. In diesem Augenblick ist Watermann vogelfrei. Die großen Politiker kriegen plötzlich die Panik.
Sie konnten den Fehler, den die Landesgruppe der Christlichen in Schleswig-Holstein gemacht hatte, nicht wieder ausbügeln. Sie wußten: Watermann rast vor Wut über seinen Rausschmiß. In diesem Moment wußten alle Betroffenen, daß Watermann nicht den Mund halten würde. Sie mußten etwas unternehmen, sie mußten die Notbremse ziehen, sie mußten …«
»Und dann hat der Kanzler beim Frühstück gesagt: Nietet ihn um!« Sie schlug sich vor Begeisterung auf die Schenkel.
»Das ist natürlich Unsinn. Unser Bundeskanzler ist ein höchst ehrenwerter Mann, ebenso ehrenwert wie alle seine Minister. Niemals würde einer dieser Männer sagen: Bringt den oder jenen um die Ecke. So funktioniert das nicht. Sie müssen gar nichts sagen, verstehst du?«
»Das verstehe ich nicht.«
»Es ist ganz einfach. An diesem Punkt war ziemlich leicht auszurechnen, was Watermann tun wird: Er wird über kurz oder lang reden, ein Buch schreiben, seine Version der Wahrheit sagen. Alle wissen ganz genau, daß Watermann von rund zehn bis zwanzig Skandalen erzählen kann. Mit Sicherheit so detailliert, daß Minister darüber fallen, Staatssekretäre stolpern, hohe Beamte entlassen werden müssen, Parteivorsitzende angeschlagen sind, Geheimdienste ins Zwielicht geraten. Also muß der Bundeskanzler gar nichts sagen. Er kann sich darauf verlassen, daß genügend hohe Beamte auf Landes- und Bundesebene begreifen: Wenn Watermann redet, sind wir alle dran! Wenn das Boot leck ist, sinken wir alle. Jetzt kommt das Verrückte: Auch diese hohen Beamte werden nie und nimmer sagen: Bringt Watermann um! Sie werden etwas anderes sagen. Ahnst du, was sie sagen?«
»Nein«, sagte sie verkrampft.
»Ganz einfach: Sie behaupten, daß Watermann in diesem Zustand die Sicherheit des Staates in einer nicht mehr zu kontrollierenden Weise gefährdet. Dann folgt die zweite Phase: Irgendeiner dieser außerordentlich mächtigen Beamten ist auf der Sicherheitsseite tätig, egal ob auf der Landesebene oder auf Bundesebene. Der Mann hat also direkte Weisungsbefugnis. Er kann entscheiden: Watermann ist jetzt in überragender Weise gefährdet und somit gefährlich. Es steht zu befürchten, daß Watermann getötet wird. Also muß ich ihn schützen, also locke ich ihn zu seinem Schutz nach Genf …«
»Moment mal, du stellst doch die Welt auf den Kopf!« sagte sie hastig.
»Nicht die Spur«, sagte ich. »Ich kann als haushoher Bundesbeamter, zuständig für Sicherheitsfragen, nach dem Tod Watermanns behaupten: Ich habe ihm empfohlen, direkt nach Genf zu kommen, weil wir ihn dort schützen konnten. Das gelang nicht.«
»Mit anderen Worten: Niemand braucht zu sagen: Bringt ihn um! Und niemand muß fürchten, sich schuldig zu bekennen.«
»So ist es.«
»Was suchen wir dann in Genf?«
»Wir suchen den einen Fehler, den sie gemacht haben.«
»Willst du wieder Finanzamt schreien?«
»Ja«, sagte ich. »Ich weiß nur noch nicht, in welche Richtung ich schreien soll.«
»Du willst natürlich im Apartment von Herrn Watermann schlafen und in seiner Badewanne baden?«
»Nein, absolut nicht. Ich bin ein empfindlicher Mensch.«
Sie wurde ungeduldig. »Wo wollen wir denn anfangen?«
Mir wurde immer klarer, daß sie keine pflegeleichte Reisegefährtin sein würde. Ich brummelte: »Willst du meine Volontärin werden, mein Lehrling?«
»Na ja, warum nicht? Also, erkläre mir dein Vorgehen,
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