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Reise nach Genf

Reise nach Genf

Titel: Reise nach Genf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
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in das Geschehen eingebunden waren, aber nicht sprechen.«
    »Was für eine Rolle spielte Manfred Gerber, der saß doch im Nachbarhotel?«
    »Ich denke, er war eine Art Oberspielleiter. Er wußte nur, daß es störungsfrei laufen mußte.«
    »An welche normalen Bürger denken Sie?«
    »Zum Beispiel an das Hotelpersonal.«
    »Haben Sie einen Kontakt in der Stadt?«
    »Nein.«
    »Ich habe einen für Sie. Walter Gremm. Guter Junge, ungefähr dreißig. Warten Sie, ich gebe Ihnen seine Telefonnummer. Will diese Dame, die bei Ihnen ist, sich an Watermann rächen?«
    »Will sie nicht. Sie ist Doktor der Politologie. Wann können Sie die Geschichte machen?«
    »Ist morgen recht?«
    »Ja.«
    Ich legte den Hörer auf und sagte befriedigt: »Er wird die Ratten aus ihren Löchern locken.«
    »Warum hast du nicht ein bißchen gemogelt? Warum hast du nicht behauptet, wir hätten schon einen Beweis?«
    »Das ist nicht fair«, wandte ich ein.
    »Niemand ist heutzutage fair«, sagte sie.
    »Das ist nicht meine Sorte Spiel.«
    »In Watermanns Spiel hat niemand die Wahrheit gesagt, einschließlich Watermann.«
    »Wir fahren jetzt in das Hotel. Zieh dich bequem, aber schick an.«
    Ich rief diesen Walter Gremm an und erreichte ihn auf Anhieb. Zurückhaltend und bescheiden, wie das meine Art ist, sagte ich ihm schöne Grüße vom Kollegen Ascheburg aus Köln. »Haben Sie Zeit, mit uns einen Drink zu nehmen? In einer Stunde? In der Lobby vom Hotel ›Beau Rivage‹?«
    »›Beau Rivage‹.« Er zog das Wort in die Länge wie Kaugummi. »Ich vermute also deutsche Anstrengungen, um das Rätsel des Herrn Watermann zu lösen?«
    »Sehr richtig.«
    »Das wird auch Zeit«, seufzte er. »Ja, ja, ich komme vorbei. Salut.«
    Wir machten uns landfein, wechselten Jeans und die Hemden, Minna bestäubte sich mit einem mörderisch süßen Parfüm, ich zog mir die englischen Maßschuhe an und setzte meine Miene von Welt auf. Ich hielt zwar nichts davon, aber das Üben machte Spaß.
    Ich überließ ihr das Badezimmer, zog mich in die äußerste entgegengesetzte Ecke zurück, starrte aus dem Fenster und wartete geduldig. Wir schwätzten miteinander wie Kumpel auf der Arbeitsstelle.
    »Du mußt doch viel über Genf wissen.«
    »Weiß ich auch«, sagte sie. »Wenn du Politik studierst, kommst du an Genf nicht vorbei. Es gibt kaum eine andere Stadt auf der Welt, die so international ist wie diese. Hier haben sehr viel künstlerische und gelehrte Gesellschaften ihren Sitz, hier sitzt der Ökumenische Rat der Kirchen, des Lutherischen Weltbundes, des Reformierten Weltbundes, das Weltkomitee des CVJM. 1536 kam Calvin in die Stadt, er machte sie berühmt, er machte sie zum sogenannten protestantischen Rom. Er schrieb seinen berühmten Katechismus.« Sie grinste. »Willst du mehr hören?«
    »Na sicher, ich bin lernfähig.«
    »Na schön, dann werde ich dich mit meinem Wissen erschlagen. Also das Genfer Abkommen über Wirtschaftsstatistik spielt eine Wahnsinnsrolle, dann die Genfer Abrüstungskonferenz des Völkerbundes. Dann die Genfer Konventionen zum Schutz der Verwundeten, der Kriegsgefangenen und der Zivilbevölkerung, womit wir beim Internationalen Roten Kreuz wären. Hier ist wirklich was los.«
    »Dann ist es ja kein Wunder, daß sich hier die internationalen Waffenhändler treffen, oder?«
    »Nein, das ist überhaupt kein Wunder, weil sie im Schatten der Mächtigen reisen.«
    »Du bist richtig gut.«
    »Das hoffe ich«, sagte sie sanft.
    »Hast du mit Watermann jemals eine Verabredung in einem Hotel gehabt?«
    »Nein, nein«, sagte sie. »Mich gab es nicht. Es passierte dreimal im Auto, gesprochen haben wir wenig. Er sagte immer nur, wie kaputt er sei, und ich blieb ziemlich stumm, weil ich nie begreifen konnte, daß ich mit einem leibhaftigen Ministerpräsidenten bumste.«
    »Hat es wenigstens Spaß gemacht?« Ich bereute die Frage sofort und fügte hastig hinzu: »Entschuldige, das klingt blöd.«
    »Nein, nein«, sagte sie heiter. »Als Vorgang ist es mir nicht in Erinnerung, als Mann war er kein Erlebnis. Ein Spießer auf der Suche nach Ablenkung …«
    »Verdammt noch mal«, ich schloß das Auto auf, »du kannst doch nicht behaupten, daß du nicht von ihm fasziniert warst.«
    »Das war ich. Aber es war die Macht, die mich reizte. Er strotzte vor Macht. Und manchmal machte ihn das ungeheuer dumm. Ich wollte dir schon lange sagen, daß er die einzige Abwechslung dieser Art war. Ich bin eher schüchtern …«
    »Du mußt dich nicht entschuldigen.«

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