Reise nach Genf
zum Beispiel ist ständig Herberge für die amerikanischen Jungs vom CIA. Natürlich tun Hotelmanager immer so, als sei ihnen das unbekannt, aber tatsächlich leben sie davon, daß sie von morgens bis abends sämtliche Augen zudrücken. Das ist der Charme schweizerischer Verlogenheit, und jeder Hotelgast kann sich so sicher darauf verlassen wie auf das Bankgeheimnis. Manchmal sind auch Staatsoberhäupter hier, und immer hohe Regierungsbeamte aus der ganzen Welt. Hier haben sie die Garantie, daß sie ohne jedes Aufsehen jeden Edelgangster treffen können, ohne mit ihm fotografiert zu werden.« Sie lachte tief und genüßlich.
»Bitte, zurück zu Paolo. Wie arbeitete er damals?«
»Er war ein Springer, das heißt, er wurde in den Bereichen eingesetzt, in denen Not am Mann war. Also Bar, Restaurant, Etagenservice, Bedienung in den Konferenzräumen und so weiter. Ich erinnere mich, daß irgendein Scheich aus Dubai da war und irgendein französischer Geldsack. Beide kamen mit einem großen Troß und benahmen sich so, wie sie sich immer benehmen, als wäre Genf ein Dorf ihrer Leibeigenen. Haben Sie denn eine Gästeliste des Hotels vom Todestag des Herrn Watermann?«
»Nein. Ich fange ja erst an. Hat die Polizei eine?«
»Selbstverständlich hat die Polizei eine Gästeliste. Aber die ist mit ziemlicher Sicherheit falsch.«
»Aber ein Computer kann sich doch nicht irren, oder?« Ich bekam einen trockenen Hals.
Sie lächelte. »Ein Computer kann sich selbstverständlich irren, wenn man ihm vorher befohlen hat, sich zu irren.«
»Moment mal, meinen Sie eine Manipulation?«
»Genau das meine ich. Erinnern Sie sich an den Nachtportier di Natale? Erinnern Sie sich an seine Aussage? Gut. Dann wissen Sie, daß dieser Mann behauptet hat, er habe in der Nacht vor dem Eintreffen des Herrn Watermann einen Gast im zweiten Stock untergebracht. Dieser Gast war in der darauffolgenden Nacht plötzlich aus unerfindlichen Gründen in den dritten Stock umgezogen, genau neben Watermann. Di Natale hat gesagt, er habe den Namen des Gastes nicht in den Computer eingetippt, weil er zu Recht annahm, daß das die Tagesschicht nachholt. Die Tagesschicht hat dies offensichtlich nicht getan. Er verschwand, und kein Mensch weiß, wie er heißt und wie er aussah.« Ihre Backenknochen traten plötzlich scharf hervor, sie wirkte gespannt.
»Das ist nur ein Hinweis, Sie werden bald begreifen, daß es noch mehrere gibt.«
»Wußte Paolo davon, daß Watermann sein Gast war?«
»Paolo wußte das. Ich erinnere mich noch genau, wie er sagte: Dieser deutsche Ministerpräsident ist im Haus, ein mickriges Männchen und nervös wie ein Hahn. Das war alles.«
»Hat Paolo erwähnt, daß Watermann irgend etwas bestellte?«
»Kein Wort davon.«
»Zurück zum Todestag, den Sonntag. Paolo geht also wie gewohnt gegen zwölf Uhr mittags arbeiten. Was folgte dann?«
»In allen Zeitungen der Welt war die Rede davon, daß der Etagenkellner Vergori dem Watermann gegen halb sieben eine Flasche Rotwein mit zwei Gläsern brachte. Da entstand der Eindruck, Vergori wäre allein für den Etagenservice zuständig gewesen. Das ist falsch. Da war noch eine Kollegin, und da war Paolo. Die Kollegin war für den dritten Stock eingeteilt, aber Paolo bat sie, mit ihm zu tauschen, weil der Scheich speziell von Paolo bedient werden wollte. Das ist normal, das passiert jeden Tag. Also war Paolo im dritten Stock.«
»Und dieser Vergori?«
»Der auch. In diesen Hotels ist in den Konferenzräumen und Suiten immer eine Unmenge los, da braucht man viele Leute. Paolo ging um elf Uhr aus dem Haus. Er sagte, er wolle wie immer in Ruhe einen Kaffee trinken und die Zeitung lesen. Den Corriere de la Sera, jeden Tag von vorne bis hinten. Das war auch normal. Aber an diesem Tag hat er keinen Kaffee getrunken und die Zeitung nicht gelesen.«
»Wieso das? Woher wissen Sie das, wenn er anschließend verschwunden war?«
»Ganz einfach. Er kaufte seine Zeitung immer am selben Kiosk und seinen Kaffee immer im gleichen Café. Der Kioskbesitzer schwört, er sei an diesem Tag nicht dagewesen, und der Cafébesitzer schwört ebenfalls, daß Paolo an diesem Tag nicht da war. Davon habe ich aber erst später erfahren. Jedenfalls war er pünktlich um zwölf Uhr im Hotel.«
»Hat denn seine Kollegin von irgendeiner Unregelmäßigkeit berichtet?«
»Nein. Er hat sie nur gebeten, den dritten Stock mit ihr zu tauschen, das war alles.«
»Bevor ich auf Einzelheiten komme: Wie ist er denn verschwunden?
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