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Reise nach Genf

Reise nach Genf

Titel: Reise nach Genf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
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dich hineinlegen.«
    »Wie kann die Justiz dann auf Selbstmord bestehen?«
    »Das weißt du doch. Watermann war ein nationales Ärgernis. Solche Ärgernisse begräbt man, die vergißt man schleunigst.«
    »Was passierte eigentlich genau in der Todesnacht?«
    »Etwas ganz Verrücktes. Etwas, dem man nicht nachgehen wollte! Im ›Beau Rivage‹ arbeitete bekanntlich ein Nachtportier namens di Natale. Dieser Mann und sein Kollege hörten morgens gegen vier Uhr ein heftiges Geräusch, dumpf, laut. Das dauerte immerhin zwanzig Sekunden. Nach dem Klang zu urteilen, passierte da irgend etwas auf dem Flur, nicht in irgendeinem Zimmer. Die beiden rasten auf Socken durch die Flure und entdeckten nichts. Di Natale gab das bei der Polizei zu Protokoll. Dann wird das Protokoll unterbrochen, und er wird in einem anderen Stockwerk des Polizeipräsidiums in einen kleinen Raum eingesperrt. Dort läßt man ihn eine Stunde warten und fragt ihn dann, ob er seiner Erinnerung ganz sicher sei. Das heißt, man behandelt ihn betont einschüchternd, bis er froh ist, daß er das Präsidium verlassen darf, ohne das Protokoll unterschrieben zu haben. Dabei hat di Natale etwas ganz Merkwürdiges am Abend vorher erlebt. Es kam ein Gast, den er nicht kannte. Er wies ihm ein Zimmer im zweiten Stock zu. Als in der Nacht vor Watermanns Tod di Natale erneut zum Dienst erschien, war dieser Mann in den dritten Stock umgezogen, in unmittelbare Nachbarschaft von Watermann. Und: Niemand hat diesen Gast je identifiziert, er ist spurlos verschwunden.«
    Nachdenklich schaute sie mich an.
    »Nur einer hat blitzschnell begriffen, worum es ging: Paolo!« sagte sie dann leise.
    »Falls er noch lebt«, murmelte ich. »Komm jetzt, wir fahren nach Oberammergau.«
    In Farchant mußte ich anhalten, weil sie eine offene Bäckerei entdeckt hatte. Sie kaufte acht Rosinenbrötchen, und wir mümmelten tapfer vor uns hin. In Oberau gingen wir auf die Bundesstraße nach Oberammergau und quälten uns sie Serpentinen zum Kloster Ettal hoch, dem tiefgläubigen Zentrum emsiger Benediktinermönche, die alles verkaufen, was Geld bringt: von der heiligen Maria aus Plastik bis zum Klosterlikör.
    Hier waren schon viele Touristen unterwegs, vornehmlich in knallbunten weitgeschnittenen kurzen Hosen, die man heute für schick hält und die den deutschen Bauchspeck so trefflich ins Licht rücken.
    Wir kamen am Tal nach Graswang und Linderhof vorbei und rollten nach Oberammergau hinein.
    »Wir trennen uns. Da wir Paolos richtigen Namen nicht kennen, werde ich die Pizzeria der Eltern suchen. Du konzentrierst dich bitte auf die Banken. Dabei mußt du von folgenden Voraussetzungen ausgehen: Angenommen, Paolo hat sein Wissen und die Unterlagen zu Geld gemacht, wird er das Geld bar kassiert haben. Er ist also mit dem Baren hier angekommen. Das muß Ende Oktober 1987 gewesen sein.«
    »Fragt bei einer solchen Summe denn keiner nach?«
    Ich grinste. »Ein Bankier kassiert und bedankt sich. Er wäre dämlich, wenn er nach der Herkunft fragt. Er will den Kunden und dessen Geld, also schweigt er höflich. Wir treffen uns auf dem Parkplatz hinter der Kirche wieder. Wenn einer von uns beiden unverhältnismäßig lange warten muß, dann dort in dieser Kneipe da, okay? Sei brav und setz dein schönstes Lächeln auf.«
    Sie wand sich, sie war unsicher. »Ich habe so etwas noch nie gemacht, Baumeister. Wie soll ich denn einen Bankmenschen fragen, ob irgendein Italiener vor fünf Jahren einen Haufen Geld bei ihm einzahlte?«
    »Bankmenschen sind kühle Rechner. Nehmen wir an, ich bin ein Bankmensch, ich habe im wesentlichen Zahlen im Kopf, und ausschließlich dafür werde ich bezahlt. Jetzt kommt eine junge, hübsche Frau zu mir und bittet um meinen Beistand. Sie sucht einen Mann. Er hat sie sitzenlassen. Vor etwa fünf Jahren. Er verschwand ganz einfach und nahm eine Menge Geld mit. Jetzt sucht sie den Schweinehund, und …«
    »Du bist ein Schweinehund, Baumeister, aber das könnte wirklich klappen.« Sie tänzelte voller Zuversicht davon. Der Bankangestellte konnte einem schon jetzt leid tun.
     
    Das Erstaunliche an diesem oberfrommen Oberammergau ist wohl die Tatsache, daß am Kirchturm noch kein Preisschild hängt. Ein Tourist kann hier eine Maria mit Kind aus dem 16. Jahrhundert für zweihundertachtundsiebzig Mark kaufen, wobei ein Schildchen »handgemacht« besagt. Die Madonna ist aus Plastik. Dieselbe Madonna aus Holz, handgeschnitzt, kostet einen guten Gebrauchtwagen. Aber Glaube versetzt ja

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