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Reise nach Genf

Reise nach Genf

Titel: Reise nach Genf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
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bekanntlich Berge.
    Nach Telefonbuch gab es vier Pizzerias, ich klapperte sie sorgsam und zu Fuß ab, wobei ich erst bei der dritten Glück hatte.
    Als Eigentümer war ein Peppo Clementi angegeben. Das Haus war alt und hatte sicherlich schon schlechtere Tage gesehen. Mit viel Geschick war die etwas windschiefe Fassade erhalten worden, und in weiser Voraussicht hatte man das Gebäude nicht auf modern getrimmt. Es wirkte wie ein gemütliches Wohnhaus aus der Jahrhundertwende.
    Es war zu früh, auf Kunden war man noch nicht eingerichtet, aber als ich in den halbdunklen, niederen Raum kam und höflich fragte, ob ich denn schon einen echt italienischen Kaffee haben könnte, antwortete ein sehr dicker, freundlicher Mann hinter der Theke: »Selbstverständlich, mein Herr.« Er war vielleicht sechzig Jahre alt.
    »Wie kommt ein Italiener nach Oberammergau?«
    Er lachte, wobei sein Bauch zitterte. »Ich bin vor zwanzig Jahren gekommen. Zuerst war ich Arbeiter beim Straßenbau, dann Kellner in diesem Geschäft hier. Eigentlich normal, oder?«
    »Gehen die Einheimischen denn Pizza essen?«
    »O ja, gerade die. Immer Knödel geht nicht.« Er lachte wieder.
    »Wie ist das hier mit Arbeitsplätzen? Haben Sie Personal? Wahrscheinlich nur Italiener, wie?« Ich fragte das alles so, wie man das um diese Tageszeit fragen muß: freundlich, aber nicht allzu interessiert.
    »Sie wissen doch«, grinste er, »wir müssen zusammenhalten. Ich habe meine Leute um mich herum, und …«
    »Und eine große Familie.«
    »Na ja, meine Frau, meine Tochter, deren Kinder. Mein Sohn ist vor ein paar Jahren auch eingestiegen. Er macht Feinkost und einen Party-Service. Hat jahrelang gut verdient und sich dann hier selbständig gemacht.«
    »Der stolze Vater«, sagte ich.
    »O ja, da ist man stolz. Erst hat der Junge nichts getaugt. Hat nicht gewußt, wo er zu Hause ist, hat sich rumgetrieben. Dann wurde er Kellner. Zuerst nur so, um Geld zu verdienen, aber dann richtig in großen Häusern. ›Vier Jahreszeiten‹ in München, ›Hilton‹ in Berlin, dann Genf und so weiter. Er hat es irgendwie begriffen und jetzt das Geschäft hier. Er ist mein Geschäftsführer.« Er zuckte die Achseln. »Ich denke so: Wenn ich der Steuer nicht alles hinterherschmeißen will, kann ich auch einen Geschäftsführer einstellen. Ist doch so. Ich versichere ihn, dann ist seine Familie auch versichert, seine Frau, seine Kinder …«
    »Ach, er hat auch Familie?«
    »Ja, ja, hat vor drei Jahren geheiratet. Die Tochter von einem alten Kollegen aus Palermo. Richtig gutes Weib, richtig hübsch, gute Mutter. Ich sage ihm immer wieder: Arbeite und du wirst sehen, daß man dich achtet.«
    »Und? Achtet man ihn?«
    »O ja. Er ist Mitglied im Wirteverband hier, sogar im Vorstand. Ist richtig gut, mein Gaetano. Und Sie? Im Urlaub hier?«
    »Nein, nein, ich arbeite. Ich bin sozusagen als Berater tätig, muß viel rumfahren.«
    »Techniker?«
    »Ja, ja, Techniker.« Es wurde mir peinlich, die kleinen, berechnenden verlogenen Andeutungen hasse ich wie die Pest. Zuweilen sind sie nicht zu umgehen, aber am liebsten würde ich jedesmal im Erdboden versinken.
    »Hat Gaetano sein Geschäft hier?«
    »Ja, am Ortsausgang Richtung Unterammergau. Schönes Geschäft, guter Betrieb.«
    »Sind Sie schon Deutscher?«
    »O nein, die Zeiten sind vorbei. Ich kann als Italiener hier gut arbeiten und Italiener bleiben, oder?«
    »Das finde ich auch«, sagte ich. »Wir Europäer müssen zusammenhalten.« Ich hatte plötzlich eine verrückte Idee, und sie ließ mich nicht los. Warum, zum Teufel, sollte ich verdeckt recherchieren, warum sollte ich den quälenden Umweg über Lügen gehen? Ich zog also Paolos Foto aus der Tasche, legte es vor ihn auf die Theke und fragte: »Ist er das?«
    Der Mann war augenblicklich so weiß wie sein Pizzateig. Seine Zunge kam nach vorn und befeuchtete die Lippen. »Also Polizei.«
    »Keine Polizei«, sagte ich. »Ich will mit Ihnen sprechen, in Ruhe.«
    »Also Grüße aus der Heimat.«
    »Keine Grüße aus der Heimat«, sagte ich. »Vor allem keine Aufregung, bitte. Lassen Sie uns reden. Aber nicht hier.«
    »In der Küche«, sagte er hastig, »da ist niemand.« Er bekreuzigte sich hastig. »Was hat er getan?«
    »Das weiß ich nicht genau. Ist er hier oder ist er in Urlaub?«
    »Er ist hier. Um was geht es?« Er hatte nasse Hände, er wischte sie sich an dem Küchentuch ab, das er vorn in den Gürtel gesteckt hatte.
    Die Küche war erstaunlich groß, licht und peinlich

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