Reise nach Genf
verzweifelt.
Karl-Heinz rannte los, sein Kumpel folgte. Sie entwickelten eine hohe Geschwindigkeit, sie waren wirklich gut.
Ich kroch unter dem Wagen hervor und stach zuerst die hinteren vier Zwillingsreifen ab, dann die beiden vorderen. Dann wollte ich in das Wohnmobil hinein, um an die Maschinen zu kommen, aber die Tür hatte eine automatische Sicherung, die ließ sich von außen nur mit einem Schlüssel öffnen.
Ich trat gegen die Tür und hatte sofort Glück, was im Plastik-Zeitalter nicht weiter verwunderlich ist. Ich durchstach alle vier Reifen der Motorräder. Nichts davon tat mir leid.
Ich sprang hinaus und rannte quer über den Platz hoch zur Straße. Ich sah, wie Karl-Heinz und sein Kumpel ungefähr dreihundert Meter weiter zu unserem Hotel liefen.
Minna saß hinter dem Steuer und fuhr sofort los. »Was ist, wenn Paolo in Oberammergau irgendwie überwacht wird? Dann entdecken sie uns sofort, und wir haben die gleiche Schweinerei am Hals.«
»Das glaube ich nicht«, sagte ich. »Ich denke, wir haben einen knappen Vorsprung. Vielleicht einen Tag, vielleicht zwei, vielleicht sogar drei. Gas, Mädchen, gib Gas!«
Sie fuhr sehr konzentriert und sehr schnell. »Ich verstehe bei dieser Sache eines nicht. Wenn Paolo Kellner im ›Beau Rivage‹ war, wenn er begriff, daß Watermann erledigt werden sollte, wenn er am gleichen Tag türmte, wieso hat ihn die Schweizer Polizei nicht längst ausfindig gemacht? Auch wenn er falsche Papier hat, kann das doch nicht so schwer sein.«
»Darüber habe ich nachgedacht, das Rätsel ist kein Rätsel. Die Polizei in Genf hat schleppend ermittelt, weil sie annehmen konnte, daß die deutschen Behörden ihnen behilflich sind. Zweitens weiß die Genfer Polizei gar nicht, daß Paolos Verschwinden irgendwie mit Watermann zusammenhängt, warum sollte sie also ermitteln? Sie haben nach ihm gesucht, sie haben ihn nicht gefunden, Schluß und aus.«
»Und nach Oberammergau? Was machen wir dann?«
»Dann untersuchen wir den Verein ›Preußens Geschichte‹ und einen Waffenhändler namens Westphal.«
»Wenn wir unterwegs irgendwie verletzt werden?«
»Dann kaufen wir uns Heftpflaster.«
»Du bist irre.«
»Stimmt.«
Wir kamen sehr schnell und glatt durch, wir kamen schon in Garmisch-Partenkirchen an, als noch kein Hotel uns ein Frühstück verkaufen wollte. Wir hockten uns auf eine Bank an der Loisach und starrten in das schnell fließende eisgrüne Wasser.
»Ich will dir nicht auf die Nerven gehen, aber bitte erzähl mir noch einmal von den Mitteln, die Watermann im Körper hatte.«
»Man konnte acht Arzneimittel nachweisen. Zwei davon in sehr geringer Menge, nämlich Diazepam und Nordiazepam. Beide hatte er Tage vorher gegen Flugangst genommen. Dann Cyclobarbital, ein sehr starkes Schlafmittel, Pyrithyldion, ein hypnotisches Beruhigungsmittel, Diphenhydramin, ein Mittel, das das Erbrechen verhindert, und Perazin, ein ruhigstellendes Neuroleptikum. Dies Perazin ist in der Psychiatrie als chemische Zwangsjacke bekannt.«
»Nehmen wir an, er wußte genau, daß er am Ende war, daß nur noch … na ja, daß eben nur noch Schimpf und Schande auf ihn warteten. Kann er das Zeug nicht zusammengekauft und dann schlicht geschluckt haben?«
»Denke daran, daß du selbst gesagt hast, daß er kein Selbstmordtyp war. Tatsächlich kann er alles zusammen geschluckt haben. Aber dann bleibt die Frage: Wo hat er das alles gekauft? In Kiel nicht, das ist sicher. Auf Gran Canaria auch nicht, das ist bewiesen. Er hätte diese Stoffe dort gar nicht bekommen, sie sind nicht im Handel. Das Pyrithyldion ist seit 1982 in Deutschland verboten. Nehmen wir aber an, daß er die Tabletten trotzdem bei sich hatte, dann fehlen immer noch die Behälter und die Pappverpackungen ebenfalls. Es gibt noch eine unerklärbare Merkwürdigkeit: Das absolut tödliche Cyclobarbital befand sich noch in seinem Magen, nicht schon im Urin. Alle anderen Stoffe waren bereits im Urin, hatten den Magen also schon passiert. Mit anderen Worten: Als er das Cyclobarbital nahm, war er mit fast hundertprozentiger Sicherheit nicht mehr in der Lage, selbst eine Tablette zu nehmen. Er war vermutlich nicht einmal mehr in der Lage, sich überhaupt zu bewegen. Denn das Neuroleptikum namens Perazin trägt deshalb den Namen chemische Zwangsjacke, weil du dich nach seiner Einnahme überhaupt nicht mehr kontrolliert bewegen kannst. Mit anderen Worten: Du kannst kein Cyclobarbital mehr nehmen, die Badewanne voll Wasser laufen lassen und
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