Reise nach Genf
Planung der Affäre läuft erkennbar nur auf eine mögliche Lösung hinaus: Selbstmord. Die, die das arrangierten, wollten nicht, daß es nach Mord aussah. Vier Tage nach Watermanns Tod erschien in der ›Baseler Zeitung‹ eine Meldung, die ich auswendig kenne. Da stand: ›Nach sehr zuverlässigen Informationen, welche die ›BAZ‹ bekam, haben die politischen und die Justizbehörden von gewichtiger deutscher Seite und über mehrere Kanäle den Wunsch übermittelt bekommen, daß es in aller Interesse wäre, wenn man diesen Fall als Selbstmord einstufen könnte.‹ Ende der Meldung. Wenn man weiß, daß die politische Berichterstattung dieses Blattes sehr gut und fundiert ist, kann man ausschließen, daß das leichtfertig gedruckt wurde.«
»Kann man diesen Journalisten nicht befragen?«
»Kann man. Aber ob er antworten wird, ist eine andere Sache. Praktisch müßten wir ihn dazu zwingen, seinen Informanten preiszugeben. Ein guter Journalist tut das nie. Wenn wir etwas bewegen wollen, müssen wir nach Windlingen.«
Unvermittelt fragte sie: »Ist eigentlich jemals überlegt worden, ob Watermanns Frau dabei die Hand im Spiel hatte?«
»Es gibt wohl nichts, was nicht durchdacht worden wäre. Aber sie ist nicht der Typ dazu. Sein Bruder auch nicht. Es ist sogar überlegt worden, ob einer der persönlichen Schützlinge Watermanns, dem er zu Ruhm und Reichtum verhalf, nicht in Verzweiflung seinen Gönner tötete. Aber das war gar nicht nötig, denn andere waren schneller.«
»Gut, überlegen wir einmal, wie lange denn der Mörder Zeit hatte.« Sie biß sich auf die Unterlippe. »Wann kann der Plan gefaßt worden sein?«
»Gute Frage. Watermann trat am zweiten Oktober von seinem Amt als Ministerpräsident zurück. Am sechsten Oktober flog er nach Gran Canaria. Am siebten Oktober verbrachte er einen sehr ruhigen Ferientag. Aber an diesem Tag verlangte seine Partei, er solle gefälligst sein Landtagsmandat niederlegen. Er erfuhr davon zwar erst am Morgen des achten Oktober, aber wenn ihn jemand genau kannte und richtig einschätzen konnte, mußte er am siebten Oktober auf die Idee kommen, die Notbremse zu ziehen, Watermann also zu töten.«
»Du lieber Himmel, ist es etwa einfach, jemanden voll Tabletten zu pumpen und in eine gefüllte Badewanne zu legen?«
Ich lachte. »Ich weiß, das verwirrt. Aber natürlich macht die volle Badewanne Sinn, wenn man etwas von Selbstmord versteht. Der Spiegel titelte damals über den Tod von Watermann: ›STERBEN NACH METHODE 1‹. Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben gab nämlich schriftlich den Rat an Todeswillige, sich ein Hotelzimmer zu nehmen, dort die tödlichen Präparate einzunehmen und sich dann in die gefüllte Badewanne zu legen. Ich habe diese Unterlagen, tatsächlich sind das frappierende Übereinstimmungen. Ich gehe davon aus, daß der Mörder das bewußt eingeplant hat. Aber dabei machte er einen entscheidenden Fehler. Du erinnerst dich daran, daß in Watermanns Körper auch ein Mittel namens Perazin gefunden wurde, ein Neuroleptikum. Dieses Mittel wird von der Gesellschaft für Humanes Sterben ausdrücklich nicht empfohlen. Der Grund ist ganz einfach: Perazin führt nicht zum Tod. Aber es ist fast immer mit qualvollen Krampfanfällen verbunden, mit nicht steuerbaren Muskelverkrampfungen und wahnwitzigen Dystonien. Jetzt denke mal an den Nachtportier namens di Natale, der behauptet hat, etwa gegen vier Uhr morgens sei er durch einen Krach wach geworden, der ziemlich lange dauerte. Zwanzig Sekunden nämlich. Denk bitte an den jungen Auszubildenden, der beobachtete, wie ein Körper, der von zwei Männern getragen wird, auf eine Treppe hinunterfällt und dabei zuckt. Denk dann an Perazin, und du hast die wahrscheinliche Lösung.«
»Sie haben ihm das Zeug eingetrichtert, er bekam Krämpfe, sie trugen ihn in sein Zimmer. Unterwegs fiel er ihnen hin. Sie füllten die Badewanne und legten ihn hinein.« Sie war weiß im Gesicht.
»So war es wohl«, sagte ich. »Wenn du die Zeugenaussagen ernst nimmst – und es gibt keinen Grund, das nicht zu tun –, dann mußt du zu diesem Ergebnis kommen. Aber jetzt will ich einen Kaffee.«
Ich stand auf und ging ins Bad und rasierte mich. Als ich zurückkam, stand sie vor mir, umarmte mich und flüsterte: »Kann sein, daß du dich trotzdem irrst. Wenn schon, ich finde deine Art nachzudenken wirklich irre.«
»Du machst mich verlegen.«
»Wirklich? Darf ich dich küssen?«
»Na ja, ich weiß nicht. Wenn es irgendwie
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