Reisestipendien
nur noch eine leichte Brise. Die Segelfläche brauchte also nicht verkleinert zu werden, eine Arbeit, die in der Finsternis doch recht schwierig gewesen wäre.
Im Volkslogis und Frachtraum ging es zwar wiederholt laut zu, doch unterließen Harry Markel und seine Leute jeden weiteren Versuch, das Schiff wieder in ihre Gewalt zu bekommen. Sie mochten wohl wissen, daß ein solcher, selbst in der Nacht, hätte scheitern müssen. Zuweilen drang nur ein Wutschrei durch die Luken nach oben, und man hörte gelegentlich das Gepolter der Betrunkenen, das sich aber auch nach und nach legte.
Am Morgen hatte der »Alert« nun drei Schläge nach Westen gemacht. Die Entfernung, die ihn von den Antillen trennte, mochte sich jedoch kaum um zehn bis zwölf Seemeilen verkleinert haben.
Zwölftes Kapitel.
Die drei nächsten Tage.
Die über einem von zerrissenen Dunstmassen begrenzten Horizonte aufsteigende Sonne verkündigte keine durchgreifende Veränderung der Atmosphäre. Der aus Westen kommende Wind schien sogar Neigung zu haben, etwas aufzufrischen.
Die Wolken stiegen übrigens bald bis zum Zenit empor, und ohne Zweifel blieb das Wetter den Tag über bedeckt und regnerisch. Der Regen aber hatte vielleicht eine Abschwächung der Brise zur Folge, die von einigen heftigen Windstößen unterbrochen werden mochte… ein Umstand, den Will Mitz besonders fürchtete.
Mußte der »Alert« bis zum Abend lavieren, so war anzunehmen, daß er den Antillen nur um weniges näher kommen würde. Das stellte also eine Verzögerung in Aussicht, deren Dauer sich nicht abschätzen ließ, und gewiß war es höchst beklagenswert, daß der Ostwind nicht achtundvierzig Stunden länger angehalten hatte.
Als das Schiff unter dem Befehle Harry Markels Barbados verließ, hatte es der Passatwind in seiner Fahrt aufgehalten, andernfalls wäre es schon hundert Seemeilen weiter draußen auf dem Atlantischen Meere gewesen, und jetzt mußte es wieder gegen den Westwind aufkreuzen, um nach den Antillen zurückzukehren.
Gegen sechs Uhr morgens gesellte sich Louis Clodion wieder zu Will Mitz.
»Nun… nichts neues? fragte er.
– Gar nichts, Herr Clodion.
– Ist denn noch keine Aussicht auf einen Umschlag des Windes?
– Das kann ich nicht sagen; doch wenn er nicht stark auffrischt, können wir wenigstens die jetzige Segelfläche beibehalten.
– Das bedeutet für uns aber eine Verzögerung, nicht wahr?
– Nun ja, eine kleine. Darum braucht sich indes niemand zu beunruhigen, und wir kommen trotzdem am Ziele an. Übrigens rechne ich auch darauf, einem Schiffe zu begegnen.
– Das hoffen Sie?
– Gewiß.
– Wollen Sie nun nicht ein wenig ausruhen?
– Nein, ich fühle mich nicht ermüdet. Sollte ich später ein Bedürfnis zu ruhen empfinden, dann werden ein oder zwei Stunden Schlaf für mich genügen.«
Wenn Will Mitz so wie jetzt sprach, geschah es, weil er die Passagiere nicht beunruhigen wollte. Im Grunde aber konnte er sich einer gewissen Besorgnis doch nicht erwehren. Wenn er das Meer schärfer beobachtete, schien es ihm, als ob »es etwas fühlte«, da es stärker bewegt war, als es dem jetzigen Winde entsprach.
Möglich war es ja immerhin, daß weiter im Westen rauhes Wetter herrschte. Im Juni oder Juli hätte solches nicht länger als vierundzwanzig, höchstens achtundvierzig Stunden angehalten; jetzt, zur Zeit der Äquinoctien, konnte es aber ein bis zwei Wochen fortdauern. Gerade zu dieser Jahreszeit sind ja die Antillen wiederholt von den schrecklichsten Zyklonen verheert worden.
Aber selbst wenn der Wind nicht zum Sturme ausartete, konnten die jungen Leute doch voraussichtlich die Anstrengungen einer Tag und Nacht nicht aussetzenden Tätigkeit kaum aushalten.
Gegen sieben Uhr erschien Patterson auf dem Verdeck, trat an Will Mitz heran und schüttelte ihm die Hand.
»Nun… immer noch kein Land zu sehen? fragte er.
– Leider keines, Herr Patterson.
Es liegt aber doch in dieser Richtung? setzte er nach Westen zeigend hinzu.
– Ja… gewiß.«
Mit dieser immerhin tröstlichen Antwort mußte sich Patterson begnügen, wenn ihn seine überreizte Phantasie auch beträchtliche Verzögerungen ahnen ließ. Wenn das Schiff nun überhaupt nicht nach Barbados oder einer anderen Insel Antiliens käme, wenn es weit aufs Meer hinaus verschlagen oder von einem Sturme überrascht würde, was sollte dann aus seinem »Kapitän« und seiner »Besatzung« werden?… Der arme Mann sah sich schon nach den äußersten Grenzen des Weltmeeres verschlagen,
Weitere Kostenlose Bücher