Reiterhof Birkenhain 01 - Aufregung im Stall
Rüschenbluse, die er jetzt da-runter trug. Das merkte man aber nur bei genauem Hinsehen. Herr Jensen sah aber nicht genau hin. So entging ihm auch, dass Oma Hillas Bluse sich urplötzlich in ein Herrenoberhemd verwandelt hatte.
Das alles fiel Herrn Jensen nicht auf. Und das war gut so. Denn heute würde er noch reichlich Gelegenheit haben seine Nervenstärke unter Beweis zu stellen. Zunächst lief aber alles glatt.
Jetzt kam der Höhepunkt der Veranstaltung - die Jugend-Quadrille. Während Stallbesitzer Jensen die Besucher in der Reithalle bei Laune hielt, tobte auf dem Heuboden die Hölle. Schnelles Umziehen war gefragt. »Ich werde nie begreifen, ob diese idiotische Rose links oder rechts ins Haar gehört.«
Mit hängenden Armen stand Theresa vor dem Spiegel und starrte anklagend auf ihre Seidenrose.
»Mann! Theresa!« Jule sah etwas genervt aus. Ihre Blume saß längst fest verklammert im Haar. »Wer links reitet, hat sie links, wer rechts reitet, rechts.«
»Wo bin ich denn?«, fragte Theresa verwirrt. »Wo reite ich denn? Reite ich überhaupt mit? Kann ich überhaupt reiten???«
Verzweifelt raufte Theresa sich die Haare. »Wetten, dass ich alles vergessen habe? Warum mache ich das bloß immer wieder mit? Das ist doch der pure Stress.« »Quatsch.«
Jule setzte ihr Anfangsreiter-Gesicht auf.
»Ist doch klar: Sophie, Conny, Annika und ich haben die Rose links, Nicky...«, Jule kicherte, »ich meine Axel..., Merle, Berit und du rechts.«
Conny fingerte ihren Rock vom Kleiderbügel. Die Widerhaken des Klettverschlusses gaben leise knirschend nach. Oma Hilla hatte beim Nähen wirklich an alles gedacht. Der Wickelrock musste nur oben geöffnet werden und wurde dann einfach um die Reithose gehüllt. Luisa reichte Conny zwei Meter rotes Seidenband. Die glänzenden Stoffgürtel hingen für alle acht über der Wäscheleine bereit.
Luisa selbst gehörte nicht zu der Quadrille. Das traute sie sich noch nicht zu. Aber bei den Vorbereitungen, da war sie immer dabei.
Luisa fand es toll, für alles zu sorgen. Ob es um ihre Freundinnen ging oder um die Pferde. Manchmal war der »Service« für sie fast wichtiger als das Reiten selbst. Gut, dass Jule ihr immer wieder einen Stoß gab, wenn sie das Reiten zu sehr vernachlässigte. Jule sagte: »Wenn du nicht aufpasst, machst du für die anderen nur die Dreckarbeit. Alles, wozu die keine Lust haben.«
Jule mit ihrem Gerechtigkeitssinn.
Manchmal stimmte ihre Befürchtung, dass Luisa ausgenutzt wurde, da musste sie Jule Recht geben. Aber nicht heute. Und schon gar nicht bei den Mädchen, die jetzt »Maske« riefen. Luisa nickte und angelte ihren Rucksack von einem Heuballen, um nach dem Lippenstift zu suchen. Eigentlich hasste Luisa den Ausdruck »Maske«, denn er stammte von den Gerlach-Zwillingen, die als Fotomodelle für Werbespots jobbten. Wie die damit herumprotzten. Unerträglich! Und das ganze Theater wegen einer lächerlichen Tube Zahncreme. Trotzdem -einige Ausdrücke aus der Werbesprache waren echt gut. Beispielsweise »Maske«, was nichts anderes hieß als Schminken.
Der knallrote Lippenstift wanderte reihum.
»Berit! Mehr!«
Luisa nahm der Kleinsten in ihrer Truppe den Stift aus der Hand. Mit kraftvollem Schwung zog sie ihr die Lippen dreimal nach.
»So. Schon viel besser.«
Zufrieden musterte Luisa ihre Verschönerungsaktion. »Eine Spanierin kann nicht feurig genug aussehen. Denkt dran, dass die Zuschauer euch aus großer Entfernung sehen. Da muss man übertreiben mit dem Makeup, sagt meine Oma.«
»Ich wünschte, wir wären noch viel weiter von der Tribüne entfernt«, seufzte Jule. »Jedenfalls weit genug, dass sie unsere achte Spanierin nicht erkennen.«
Die Mädchen-Quadrille sollte in einem Pulk durch das große Tor in die Halle einreiten. Von draußen.
»So eine gewaltige Masse Pferd wirkt ganz anders auf die Zuschauer«, hatte Herr Jensen gesagt, »als wenn Pferd für Pferd durch die Stallgasse einzeln hereinkleckert.«
Vom Hof aus sollte man selbstverständlich nur hereinkommen, wenn es nicht regnete. Glücklicherweise stand dieser »Tag der offenen Tür« unter einem guten Stern. Das Wetter versprach bis zum Abend warm und heiter zu bleiben.
Die Quadrille-Reiter konnten sich also in aller Ruhe auf dem Hof sammeln und paarweise ordnen. Aber was heißt Ruhe! Damit war es nicht weit her. Aufgeregte Fragen und Antworten schwirrten hin und her. Jedes der Mädchen war hundertprozentig sicher etwas Wichtiges vergessen zu haben. Ständig wurde
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