Reiterhof Birkenhain 01 - Aufregung im Stall
heute!«
Die Stimmen überschlugen sich.
Natürlich kannte jedes Mädchen die Figuren. Sie hatten ja lange genug geübt. Aber es war eine Sache, im Feld mitzureiten, und eine andere, an der Spitze die Reiter anzuführen. Ein einziger Fehler der Anfangsreiter und die Show war verdorben. Das erste Paar musste jeden
Zirkel und jeden Wechsel im Kopf haben, alle Punkte zum Angaloppieren und hundert Dinge mehr.
»Es hilft nichts.« Jule guckte einen nach dem ändern an. »Wir müssen einen finden.«
Niemand drängte sich danach.
»Conny?«
»Auf Brinkum?«
»Klar.«
»Und wer soll dann Rocky reiten?«
Das war ein Argument. Rocky brauchte einen Reiter, dem er vertraute, also Conny. Sonst konnte man bei ihm für nichts garantieren.
»Sophie?«
»Vergiss es.«
»Merle?«
»Ich sterbe ja an zweiter Stelle schon vor Aufregung. Und ganz vom - nein!«
»Theresa? Komm!«
Theresa passte immer gut auf. Im Moment war sie Jules ganze Hoffnung. Aber Theresa zögerte.
»Zutrauen würde ich es mir schon. Allerdings auf Brinkum ... du weißt ja ...«
Jule seufzte tief. Theresa und der dicke Friese waren ständig verschiedener Meinung, ob man galoppieren sollte oder nicht. Also auch nichts.
Axel Rakete steckte seinen Kopf durch die Tür und schlug sofort lachend die Hände vors Gesicht.
»Acht Mädchen auf einmal, das halte ich nicht aus.« »Keine Scherze.«
Jule sah ihn mit gespielter Strenge an und hüpfte mit einem Satz auf die Haferkiste in der Nische. »Höchste Alarmstufe. Nicky kann nicht mitreiten. Wer soll an den Anfang?«
»Oh.«
Axel Rakete schluckte. Für ihn als Reitlehrer war es nicht schwer, die ganze Tragweite zu begreifen.
»Wer soll an den Anfang«, wiederholte er langsam, um Zeit zu gewinnen. »Gute Frage ...«
In rasender Eile ging er die Namen aller Reiterinnen durch. Vom Können her waren genug dabei. Der Haken: Keine hatte die einstudierten Figuren im Kopf, wie es sich für eine Anfangsreiterin gehört.
»Ich glaube, wir haben ein Problem.«
Axel Rakete brachte es auf den Punkt. Außer den Mädchen war er der Einzige, der den Ablauf der Vorführung kannte.
Genau daran hatte auch Jule in dieser Sekunde gedacht. Abrupt beendeten ihre Stiefelabsätze das Trommelfeuer gegen die Haferkiste. Mit schief gelegtem Kopf musterte Jule ihren Reitlehrer.
Axel war nicht zu klein und nicht zu groß, er war schlank, sein braunes Haar trug er länger, als es eigentlich Mode war. Es war fast ein Pagenkopf, so wie bei den Jungs auf den CDs mit alten Beatles-Songs.
Jule ließ sich vom Deckel herabgleiten und machte einen Schritt auf Axel Rakete zu.
Unwillkürlich wich der junge Reitlehrer zurück. Er sah Jule an der Nasenspitze an, was sie dachte.
»Nein«, sagte er energisch. »Niemals.«
Jule folgte Axel Rakete und starrte ihn beschwörend an. So ähnlich musste Hypnose funktionieren. Sie hatte das mal im Film gesehen. Im »Dschungelbuch«, bei der Schlange.
»Es geht nicht anders.«
»Das könnt ihr mit mir nicht machen.«
Axel drehte sich um, als ob er von der Haferkiste Hilfe erwartete. Sein Ausweichmanöver wurde von der Tür in seinem Rücken gestoppt. Abwehrend nahm er beide Hände hoch.
»Nein...«
»Aber du bist der Einzige, der alle Figuren kennt.« »Und wennschon! Ihr reitet in Röcken ... als Spanierinnen ...«
Endlich fiel auch bei den anderen Mädchen der Groschen.
Johlend kreisten sie ihren Reitlehrer ein.
Das würde ein Heidenspaß werden.
Der Schreck mit Nicky war vergessen. Und selbst die konnte jetzt wieder lachen. Immerhin war sie die Einzige, die das Schauspiel von der Zuschauertribüne verfolgen konnte.
6. Kapitel
Wer ist das achte Mädchen?
Kai Jensen wunderte sich schon lange nicht mehr über Dinge, die anderen Menschen merkwürdig vorkamen.
»Ich habe Pferde erlebt«, pflegte er als Begründung zu erzählen, »die in mein Büro eingedrungen sind und meine Steuererklärung auffraßen. Was soll mich da noch erschüttern?«
Er rechnete mit allem, und zwar unaufhörlich. Während also jeder Besucher sich erstaunt fragte, was Oma Hilla und Axel Rakete hinter einer hochgehaltenen Pferdedecke im Kaffeezelt machten, fand Herr Jensen das seltsame Treiben völlig normal.
Logischerweise nahm er auch keine Notiz davon, dass sein Reitlehrer ziemlich unförmig aussah, als er hinter der Pferdedecke hervorkam. Dabei hätten ihm schon die abstehenden Knöpfe an Axels Reitjackett verraten müssen, dass etwas nicht stimmte. Die führten nämlich einen stummen Kampf mit der
Weitere Kostenlose Bücher