Reiterhof Birkenhain 04 - Ein starkes Team
abgesetzt hatte, zum Reiterhof gejoggt. Konnte er ahnen, dass Doris Vogel sich sofort auf ihn stürzen würde? Um ihm haarklein alles über das Unglück zu erzählen, das er »verpasst« hatte?
Frau Vogel hatte die Sache von Jensens Unfall längst hundertmal herumgetratscht und jedes Mal mehr aufgebauscht. Inzwischen spielte sie selbst die tragende Rolle in der Geschichte. »Hätten wir nicht die Strohballen unter Jensens Leiter gelegt«, prahlte sie, »wäre der Sturz tödlich gewesen.«
Sie sagte tatsächlich wir. Am liebsten wäre sie wohl höchstpersönlich von der Leiter gefallen. Aber das konnte sie ja schlecht behaupten.
»Jedenfalls sähe der Stall ganz alt aus«, sagte sie, »wenn ich nicht meine Vormittage opfern würde, um hier alles unter Kontrolle zu behalten.«
Doris Vogel sagte opfern und unter Kontrolle, ohne mit der Wimper zu zucken.
Da konnte man sie fast wieder so fies finden wie vor der Sache mit Flecken-Paula.
Frau Vogel gab Bastian keine Chance Zwischenfragen zu stellen. Sie spuckte ihre Wörter aus wie ein Vulkan die heiße Lava. Irgendwann wurde es dem Jungen zu dumm. Mitten im Lavastrom ging er einfach weg.
Er musste sich um die kranke Knabstrupper-Stute kümmern. Paula stand mit dem Gesicht zur Wand in ihrer Box, eine Decke über dem Rücken. Die Stute nahm den hoch aufgeschossenen 14-Jährigen zwar zur Kenntnis, drehte sich aber nicht um.
Bastian warf einen Blick in ihren Trog. Einige Leinsamenkörner klebten am Rand, was darauf hindeutete, dass Axel Rakete ihr heute schon einen Kolikbrei gekocht hatte.
»Na, Paula, dann bist du ja übern Berg«, stellte er fest. Der Unfall ging ihm nicht aus dem Kopf. Er glaubte kein Wort davon, dass Frau Vogel Strohballen unter die Leiter gelegt hatte. Die wusste doch nicht mal, wie man Stroh schreibt! Egal. Wichtiger war, dass die Mädchen die ganze Arbeit mit Axel Rakete geschafft hatten. Bloß gut, dass er wieder zurück war und mit anpacken konnte. Jetzt aber nichts wie hin zu King Louis.
Sein Lieblingspferd scharrte erwartungsvoll mit den Hufen. Der King machte Platz, um Bastian in seine Box zu lassen. Kurz und heftig rempelte er den Jungen mit dem Kopf an. »Hoffentlich rückst du bald ein Leckerli raus«, hieß das.
»Ich hab nichts, mein Alter«, lachte Bastian. »Ich komme doch direkt vom Müritzsee.« Reiten hatte in Mecklenburg leider nicht zum Schulprogramm gehört, obwohl sie tolle Pferde gesehen hatten.
»Ob ich ihn wohl reiten darf?«, rief Bastian zu Frau Vogel hinüber, die beleidigt an Lotta herumstriegelte. »Wenn hier alles auf Sparflamme läuft, fällt sicher auch der Unterricht aus.«
»Ich denke schon.« Frau Vogel zuckte die Schultern. »Die Pferde müssen ja bewegt werden.« Der erste vernünftige Satz von ihr.
Bastian hatte sich gerade auf dem Dachboden umgezogen, auf dem die Jugendlichen ihre Reitsachen zurückließen, als Conny eintraf.
»Oh, stark, dass du zurück bist«, freute sie sich. Zur Begrüßung schlugen sie sich zweimal auf die Handflächen. »Sag mal, weißt du schon ...«
»Alles«, unterbrach er sie und fuhr leise fort: »Frau Vogel war so freundlich...«
»Dann bist du ja bestens informiert.«
»Oh ja.« Bastian grinste und schob King Louis das Trensengebiss ins Maul. »Zum Beispiel weiß ich, dass sie Herrn Jensen unter Einsatz ihres Lebens gerettet hat...
und gestern auch noch Flecken-Paula.« Er zog den Sattelgurt nach. »Und dass sie jetzt die Leitung des Reiterhofs übernimmt. Sag mal... willst du nicht mitreiten? Auf Rocky?«
»Gute Idee«, sagte Conny.
Zwanzig Minuten später folgte sie Bastian in die Reithalle, die sie ganz für sich allein hatten. King Louis wollte mit aller Macht zeigen, was für ein toller Kerl er noch war - trotz seiner mehr als 30 Jahre. Bastian musste ihn zurückhalten, sonst hätte der alte Herdenchef sich übernommen.
Rocky dagegen »durfte«.
Conny nutzte die Gelegenheit (wann hatte man schon mal eine leere Halle?) für einen herrlichen Galopp. »Guck mal... schnell!«, rief sie Bastian zu. »Wie schön mein Rocky auf dem Zirkel galoppiert. Immer, wenn es niemand sieht.«
Bastian lachte. Wirklich, Rocky hatte es faustdick hinter den Ohren. Im Reitunterricht entzog er sich gern, wenn es hieß: »Auf dem Zirkel geritten!« Statt einen großen Kreis zu galoppieren, fetzte der Traber meistens geradeaus. Damit brachte er jeden Reiter zur Verzweiflung. Ging es aber um nichts - wie jetzt -, galoppierte Rocky problemlos im Kreis.
»Ich werde es am schwarzen Brett
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