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Remember

Remember

Titel: Remember Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Jungbluth
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»Wann seid ihr das letzte Mal hier gewesen?«
    Wieder machte er eine lange Pause. »Letztes Jahr, im November. Doch es kommt mir vor, als sei es gestern gewesen. Meine kleine Schwester Rebecca durfte zum ersten Mal jemanden mitbringen.«
    Michael hatte eine Schwester? Das hatte er nie erwähnt. Aber dann fiel Annabel plötzlich ein, was er über das wackelige Treppengeländer gesagt hatte. Wir sind wohl ein paarmal zu oft hier runtergerutscht.
    »Rebecca war ganz aufgeregt.« Michael sprach einfach weiter. «Sie wollte ihrer Freundin Jessica alles zeigen. Am Nachmittag fuhren unsere Eltern ins Dorf, um Lebensmittel einzukaufen. Der See war nicht zugefroren. Es war ein milder Winter.« Er schaute für einen Moment hinüber zum Ufer, wo das kleine Boot umgedreht im Trockenen lag. »Im Sommer sind Rebecca und ich oft mit dem kleinen Ruderboot dort auf die Mitte des Sees gefahren. Wir sind stundenlang da draußen geblieben, sind herumgeschwommen, haben Bücher gelesen und Süßigkeiten gegessen und uns Geschichten erzählt.«
    Annabel sah über die schimmernde Wasseroberfläche, dann auf Michael, der seinen Blick jetzt fest auf seine Hände gerichtet hatte.
    »Rebecca wusste, dass der See im Winter für sie tabu war. Aber sie wollte ihrer Freundin unseren Lieblingsplatz zeigen. Sie nahmen heimlich das Boot und ruderten hinaus auf den See. Als ich ihre Freundin schreien hörte, rannte ich aus dem Haus. Ich sah Jessica alleine im Boot sitzen. Sie schrie verzweifelt um Hilfe. Ich lief bis zum Ende des Stegs und sprang ins Wasser. Ich schaffte es bis zum Boot, tauchte immer wieder bis auf den Grund, aber ich fand sie nicht.«
    Annabel hielt den Atem an.
    Michaels Stimme hatte einen eigenartigen, teilnahmslosen Tonfall angenommen, als erzähle er die Geschichte eines anderen. »An das, was dann geschah, erinnere ich mich nicht mehr. Es hieß, ich hätte mich mit letzter Kraft am Bootsrand festhalten können. Und dass das kleine Mädchen weinend mit mir ans Ufer gerudert sei. Dort hätten sie uns gefunden. Sie hatte mir das Leben gerettet.
    Später erzählte sie uns, dass sie im Boot herumgealbert hätten und Rebecca dabei das Gleichgewicht verloren hätte. Nachdem man Rebecca endlich geborgen hatte, fand der Arzt eine Platzwunde an ihrem Kopf. Er sagte, sie sei mit dem Kopf gegen den Bootsrand geschlagen und bewusstlos ins Wasser gefallen.«
    Annabel spürte, wie ihr eine Träne über das Gesicht lief. Am liebsten hätte sie Michaels Hand genommen, aber sie hatte Angst davor, dass er sie zurückstoßen könnte.
    »George hat mich mal in der Anstalt gefragt, wie ich darauf komme, tot zu sein, erinnerst du dich? Jetzt kann ich es dir sagen.«
    Endlich sah Michael hoch und suchte Annabels Blick. Er atmete unregelmäßig. In seinen Augen kleine Seen.
    Seine Stimme zitterte, als er weitersprach.
    »Was, wenn ich es in Wirklichkeit nicht ans Ufer geschafft habe? Was, wenn ich damals genau wie meine Schwester ertrunken bin und das alles hier gar nicht wirklich passiert, sondern nur eine Art Hölle ist?«
    »Michael, das darfst du nicht sagen!« Annabel sah ihn eindringlich an. Sie suchte nach einem Argument, das so logisch war, dass es ein für alle Mal seine Todestheorie widerlegen würde. Doch alles, was ihr in diesem Moment einfiel, war: »Wenn das hier die Hölle ist – warum sind wir dann bei dir – Eric, George und ich?«
    Michael wischte sich mit dem Handrücken über die Augen und starrte dann wieder auf seine Hände.
    »Es ist ihr Zimmer«, flüsterte er. »Ich habe euch rausgeschmissen, weil es ihr Zimmer war. Ich wollte nicht, dass…« Michael schluckte. »Ich konnte den Anblick kaum ertragen. Weißt du, es ist noch immer derselbe Schrank, derselbe Nachttisch, dasselbe Bett. Aber in dem Schrank hängen keine Kleidchen, auf dem Nachttisch liegen keine Bilderbücher und auf dem Bett keine Kuscheltiere mehr. Auch der Platz auf der Fensterbank, an dem immer ein Strauß mit Gänseblümchen stand, ist leer.« Er schaute Annabel mit einem Lächeln an, das so voller Trauer war, dass sie dessen Anblick kaum ertragen konnte. »Ich habe Rebecca einmal gefragt, warum gerade dies ihre Lieblingsblumen sind. Sie hat mir den Strauß ans Ohr gehalten und gesagt: ›Weil sie lachen. Hörst du es nicht?‹«
    Annabel konnte die Tränen nicht länger zurückhalten. Gleichzeitig rang sie nach Worten, irgendetwas, das sie ihm sagen konnte und das ihm Trost spenden würde. Aber diese Worte gab es nicht. Sie konnte nicht mehr tun, als hier

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