Remes; Ilkka - 5 - Höllensturz
schließlich egal war, ob ihr freikommt oder nicht.« Karri konnte die Wahrheit nicht sagen, er konnte nicht sagen, dass die Israelis versucht hatten, die Geiseln zu töten. Oder stimmte das etwa gar nicht? Luuk und Keith waren schon vorher gestorben.
»Weißt du etwas über die Israelis?«
»Ich habe doch schon gesagt, dass ich noch keine Kraft zum Reden habe.« Saara legte den Kopf zurück und schloss die Augen.
Karri und Timo sahen sich besorgt an.
Johanna blickte im Schutz der Bäume auf das Grundstück, auf dem Tuija ab dem elften Lebensjahr ihre Kindheit verbracht hatte. Über dem See türmten sich dunkle Wolken. Der Wind war wieder stärker geworden. In der Nacht hatte er manche Stellen vom Schnee befreit, an anderen türmten sich dafür hohe Schneewehen.
Eeverts Haus sah trostlos und verlassen aus. Auch in der Kaminstube am Ufer war es dunkel, wie Johanna vermutet hatte. Am Freitagabend hatten sich dort vier Frauen getroffen, von denen jetzt drei nicht mehr lebten. Johanna konnte es kaum erwarten, mit Saara über die Ereignisse vom Freitagabend und über die Anrufe von Rafiq zu reden.
Etwas stimmte mit Rafiq und Tuija Karam nicht. Da waren so viele Einzelheiten: unter anderem die bevorstehende Zwangsversteigerung, die sich irgendwie hätte bemerkbar machen müssen. Fälle, in denen Menschen mit unüberwindlichen finanziellen Schwierigkeiten so weitermachten, als wäre nichts, führten oft zum Aufprall am Ende der Sackgasse.
Die Karams hatten ihre Misere weitgehend selbst verschuldet. Warum musste man sich zum Beispiel auf Kredit ein teures Auto kaufen, wenn man auch ein billigeres hätte bekommen können?
Johanna ging über die Stellen, die der Wind schneefrei geblasen hatte, um Spuren im Schnee zu vermeiden. Sie war schon im Begriff, an dem Haus vorbeizugehen, beschloss aber, doch noch einen Blick hineinzuwerfen.
Sie blieb vor einem Fenster stehen und leuchtete mit der Taschenlampe hinein. Es sah aus, als hätte Eevert am Vortag erst das Haus verlassen und würde jeden Moment zurückkommen. Johanna richtete den Lichtkegel auf einen Stuhl, über dem Kleider hingen. In einer Ecke lagen Zeitungen auf einem Stapel. Die Atmosphäre der angehaltenen Zeit hatte etwas unbeschreiblich Trauriges.
Johanna ging zum nächsten Fenster und blickt in ein kleineres Zimmer, das offenbar Tuija gehört hatte. Das Licht der Taschenlampe fiel auf einen Stundenplan an der Wand.
Warum hatte Tuija alles so belassen, wie es war? Im Regal standen Bücher, und auf dem Bett lagen die Hosen eines Trainingsanzugs. Im nächsten Zimmer standen vier Kartons, die mit Klebeband verschlossen waren. Die machten einen zu neuen Eindruck, um aus Eeverts Zeiten zu stammen.
Johanna ging zum Eingang. Sie machte einen Satz über den Schnee auf der untersten Treppenstufe und stand direkt vor der Tür. Die Farbe hatte Risse, die Klinke war rostig. Johanna drückte sie nach unten, aber es war abgeschlossen.
Der Wind, der vom See her blies, ließ Johanna frösteln. Sie machte kehrt und wollte denselben Weg zurückgehen, als sie plötzlich innehielt.
Sie sah einen Abdruck auf der untersten Treppenstufe, einen Fußabdruck, in dem sich etwas Schnee abgelagert hatte. Jemand musste in der Nacht hier gewesen sein. Wäre die Person am Abend da gewesen, wäre die Spur vollkommen verdeckt gewesen. Wäre sie am Morgen gekommen, hätte kein Schnee darauf fallen können. Wie es aussah, war die Person aus dem Haus gekommen.
Neugierig ging Johanna zur Giebelseite und merkte, dass dort der Fensterrahmen etwas von der Zarge abstand. Sie schob den Finger unter das Fenster und bewegte es leicht.
Karri war erleichtert. Er entfernte den steifen Aluminiumdeckel vom Essensbehälter und beobachtete aus dem Augenwinkel, wie Saara neben ihm auf dem Fensterplatz das Gleiche tat. Timo saß links von Karri am Gang. Der Airbus der Finnair von Frankfurt nach Helsinki war zur Hälfte gefüllt, und keiner der Passagiere nahm von Karri und Saara Notiz. Dabei hatte Karri befürchtet, jemand könnte sie von den Zeitungsfotos her erkennen.
Beim Umsteigen hatte Saara zum ersten Mal von sich aus über belanglose Dinge gesprochen. Sie wirkte noch immer müde, aber sie hatte Karri angelächelt. Über die Entführung zu reden, war sie noch nicht bereit, und Karri hatte sein Bedürfnis, sie danach zu befragen, im Zaum gehalten.
Er warf einen Blick zu dem Passagier auf der anderen Seite des Ganges, der zum Essen die finnische Zeitung zusammenfaltete und beiseite legte, und nickte
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