Remes, Ilkka - 6 - Die Geiseln
sich zu beraten, und nun nahm auch Sohlman das Telefon ans Ohr.
Johanna blieb allein zurück. Sie ahnte, was kommen würde. Das SK Bär stand immer unter der Befehlsgewalt der verantwortlichen lokalen Polizei. Im Prinzip waren die Befehlsstrukturen auch eindeutig, damit reibungslos gehandelt werden konnte: Das SK Bär plante und realisierte seine Aufgabe unter dem Kommando seines eigenen Chefs, nachdem der örtliche Einsatzleiter den Plan akzeptiert hatte. In der Praxis war es jedoch so, dass Sohlman mit seiner Erfahrung und Persönlichkeit einfach über den lokalen Polizeichef und über Helste hinwegwalzte. Johanna sah auf die Uhr. Bis zum Ablauf des Ultimatums war es noch knapp eine Minute.
7
Vasa blickte auf die Uhr. Das Ultimatum, das er gestellt hatte, lief gerade ab. Ein Auto war nirgendwo zu sehen. Es rührte sich nichts. Die Sekunden verstrichen. Eine Abweichung von fünfzehn, zwanzig Sekunden war hinnehmbar, aber kein bisschen länger.
Vasa umklammerte die Waffe auf seinem Schoß. Die Dämmerung wurde dichter, der Wald entlang der Straße immer dunkler.
»Sie lügen«, sagte Radovan. »Sie haben gar nicht vor, uns ein Auto zu geben.«
Vasa sagte nichts. Er war überrascht. Zum ersten Mal in seinem Leben spürte er eine echte Unsicherheit, die im Begriff war, sich zur Angst auszuwachsen. War er zu blauäugig gewesen, als er sich einbildete, die Finnen würden sich wie die Schweden verhalten?
Radovan und der Vater machten unruhige Bewegungen, die Blicke auf den Waldrand gerichtet. Die Frau atmete hysterisch, mit blassen Lippen. Vasa glaubte, das Telefon würde jeden Moment klingeln, aber es blieb stumm. Die Nummer der Polizistin, die ihn angerufen hatte, war gespeichert. Er stellte sich darauf ein, in Kürze diese Nummer zu wählen. »Mir gefällt das nicht«, flüsterte Radovan. »Ruf sie an und sag ihnen, was wir tun, wenn der Wagen nicht innerhalb von einer Minute hier ist. Und sieh zu, dass du überzeugend klingst!«
»Wir haben bereits eine Drohung ausgesprochen, und sie haben trotzdem das Ultimatum überschritten. Wenn wir gleich am Anfang unsere Drohungen verwässern, nehmen sie uns balnicht mehr ernst.« Vasa sprach schnell und gereizt. »Ich werde anrufen, und du sorgst dafür, dass die Geisel vor Schmerzen schreit. Ist das klar?« Ohne eine Antwort abzuwarten, drückte Vasa die Tasten seines Handys. Im Rückspiegel sah er Radovan näher an die Frau heranrücken. »Das Auto kommt«, sagte der Vater plötzlich.
Vasa blickte nach draußen und sah einen roten Audi langsam näher kommen. Erleichtert legte er das Telefon aus der Hand. Er war sich nicht sicher, ob Radovan die Frau tatsächlich verletzt hätte. Wahrscheinlich schon. Vasa wusste nicht, wo Radovan überall dabei gewesen war, aber mit Sicherheit hatte sein Bruder Menschen Schaden zugefügt, wenn nicht sogar getötet.
Wäre er, Vasa, selbst dazu in der Lage?
Er wollte gar nicht weiter darüber nachdenken. Er handelte der Situation entsprechend, von Augenblick zu Augenblick.
Der Nissan Maxima der Entführer war in dem VW-Bus, in dem die Einsatzleitung des Bär-Teams saß, deutlich auf dem Monitor zu erkennen. Eine Videokamera mit Teleobjektiv stand auf einem Stativ hinter einem Wacholderstrauch, an der Stelle, an der die Straße eine Kurve machte.
Johanna blickte über Sohlmans und Helstes Schultern hinweg auf den Monitor. Man hatte sie übergangen, und sie musste das akzeptieren. Alle wussten, dass Johanna lieber zu vorsichtig war, als Risiken einzugehen. Diesen Eindruck wollte sie nicht noch verstärken, indem sie den anderen Knüppel zwischen die Beine warf.
»Bleib so lange dort, bis ich dir Bescheid sage«, sprach Sohlman in das Mikrofon, das am Kopfhörerkabel befestigt war. Die Anweisung war an Aki Näränen gerichtet, der den Audi hinter den Nissan gefahren hatte, so, wie es von den Entführern verlangt worden war.
»Die Eins bereit?«, sagte Sohlman ins Mikrofon.
Johanna konnte die Antwort nicht hören.
»Die Zwei bereit?«, fragte Sohlman weiter.
Neben dem Monitor hing ein Blatt Papier, auf dem die Straße mit dem Nissan eingezeichnet war. Im Wald daneben waren die Männer vom BärTeam mit Kreuzchen und Nummern markiert. Es waren acht. Vier von ihnen Scharfschützen. Entscheidend war, die Unversehrtheit der Geisel zu gewährleisten, aber auch Oberst Jankovic sollte am Leben bleiben. Der KFOR-Truppe, die ihn auf dem Balkan festgenommen hatte, war das gelungen, weshalb die Finnen zusehen mussten, dass es ihnen ebenfalls
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