Remes, Ilkka - 8 - Tödlicher Sog
den nächsten Quergang kam. Dort bog er nach links ab und ging nun langsamer, aber mit großen Schritten, öffnete die dunkle Glastür vor sich und blieb stehen. Wieder hatte er zwei Gänge vor sich. Er suchte nach Pfeilen und Wegweisern, sah aber nur endlose Reihen von Kabinennummern.
Roni saß in der Bar und sah auf dem Handy seines Vaters nach, wie spät es war. Es gab im Moment kein Netz, die Feldstärke wechselte ständig. Sein Vater war bereits besorgniserregend lange weg.
Die jungen Männer und Frauen neben ihm schienen immer mehr Spaß zu haben, je schlechter die Witze wurden.
Roni lächelte den anderen zu und versuchte sich zu beruhigen. Aber das Bild vom Gesicht des Schweden unter der Dusche wurde er einfach nicht los. Woher kannte sein Vater diese Art von Verhörmethode? Er schien genau gewusst zu haben, was er tat.
In den letzten Tagen hatte sein Vater überhaupt seltsame Züge offenbart. Roni versuchte, die irritierenden Gedanken abzuschütteln. Die Hauptsache war das Geständnis des Schweden.
Trotzdem wuchs Ronis Unruhe von Sekunde zu Sekunde. Das Telefon mit der Aufnahme, und damit alles, was zählte, hatte sein Vater.
47
Tero bemerkte, dass er in dem Ganglabyrinth einen unnötigen Umweg gelaufen war. Er ging weiter und hatte die ganze Zeit Angst, auf Hellevig und dessen Komplizen zu treffen. Mittlerweile hatten sich die meisten Passagiere in ihre Kabinen zurückgezogen, aber es waren noch immer lautstarke Betrunkene unterwegs. Das Schiff machte sich bereit, in Mariehamn anzulegen, der Hauptstadt der Äland-Inseln.
Plötzlich erschrak Tero und verlangsamte den Schritt. Er kannte die beiden Männer, die ihm entgegenkamen - sie waren bei Hellevig auf dem Autodeck gewesen. Würden sie ihn erkennen? Hatten auch sie ein Foto von ihm auf dem Handy?
Der einzige Fluchtweg war das Pub im englischen Stil, an dem er gerade vorbeikam. Er trat in die Geräuschkulisse aus Stimmengewirr, Gelächter und der Musik eines Sängers mit Gitarre und hoffte, die beiden Männer würden ihm nicht folgen. Ob auch Hellevig in der Nähe war? Tero wagte es nicht, sich umzublicken, sondern setzte sich zu zwei Frauen, die bereits das mittlere Alter überschritten hatten. Sie schauten ihn amüsiert an.
»Hier ist doch frei?«, fragte Tero und versuchte zu lächeln.
»Aber sicher, für einen so gut aussehenden ...«
»Was ist das für ein Bier, das Sie da trinken ?«, wollte Tero von der Frau, die ihm am nächsten saß, wissen. »Dürfte ich mal probieren?«
Die angetrunkene Frau lachte laut auf. »Und ob du darfst. Du musst sogar!« Tero nahm einen Schluck und blickte gleichzeitig kurz zur Tür. Die Männer waren nicht zu sehen.
»Danke, das schmeckt gut. Ich bin gleich zurück«, sagte er und verließ rasch den Tisch.
Er beeilte sich, in die Bar zu kommen, in der Roni wartete, und behielt auf dem Weg dorthin seine Umgebung ständig im Blick.
In der Bar saß jemand auf Ronis Stuhl, aber das war nicht Roni ... Tero ließ den Blick eilig durch den Raum schweifen, doch Roni war nirgendwo zu sehen. Wo war der Junge hingegangen? Ebenfalls zur Kabine?
Tero drehte sich um und ging in die Richtung zurück, aus der er gekommen war. Rechts befand sich eine Herrentoilette, deren Tür er vorsichtig öffnete. Leere Kabinen, zwei Männer am Pissoir, keine Spur von Roni.
Teros Beunruhigung wuchs. Er kehrte noch einmal in die Bar zurück und sah sich gründlich um, aber Roni war nicht unter den Gästen. Dann eilte Tero zur Treppe und ging nach oben, wo ihre Kabine lag. Er konnte sich nicht vorstellen, dass der Junge anderswo hingegangen sein konnte.
Tatsächlich kam ihm Roni auf dem Kabinengang entgegen. Beide waren erleichtert, aber das Gefühl hielt nicht lange an.
»Der Schwede ist aus der Kabine entkommen«, flüsterte Roni.
»Ich weiß.« Tero sah seinen Sohn ernst an. »Gib mir die Kassette«, sagte er, steckte die Tüte ein und zog Roni mit sich ans Ende des Ganges. »Die Leute verschwinden in ihren Kabinen, bald ist kein Mensch mehr auf den Gängen unterwegs. Wir müssen uns verstecken. Und zwar richtig.«
»Aber wo?«
»Lass uns aufs oberste Deck gehen. Wir versuchen, in die Nähe der Kommandobrücke zu kommen, wo der Zutritt für Passagiere verboten ist. Wir können uns zum Beispiel in einem Rettungsboot verstecken.«
Als Tero die Tür nach draußen öffnete, wollte sie ihm der Wind aus den Händen reißen. Es dauerte einen Moment, bis sich ihre Augen an die spärliche Deckbeleuchtung gewöhnt hatten. Es war niemand
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