Remes, Ilkka - 8 - Tödlicher Sog
Kombis der Marke Saab parkten. Ein groß gewachsener, dünner Junge versuchte, mit einem Basketball den Korb vor einer Garage zu treffen.
Der Kontrast zwischen den brutalen Fakten, die Tero gelesen hatte, und der bürgerlichen Idylle ringsum hätte nicht größer sein können. Er dachte an Marcus und an Anatoli Rybkin, Toomas' russischen Arbeitgeber. Traf es tatsächlich zu, dass die beiden an den Machenschaften und Geheimtransporten der FMV, die mit dem Untergang der Estonia zu tun hatten, beteiligt gewesen waren?
Ein schrecklicher Gedanke. War Zentech etwa eine ähnlich zwielichtige Firma wie Exico und arbeitete auf Rechnung der nachrichtendienstlichen Maschinerie des schwedischen Militärs? Aber wie konnte es möglich sein, dass der Bankbeleg aus dem Schließfach in Lausanne mit einem viel neueren Datum versehen war?
»Da ist die Nummer elf«, sagte Roni. »Die Sechsundfünfzig muss also ein Stück weiter auf der anderen Seite kommen.«
Teros Handy klingelte. Als er den Namen auf dem Display las, erschrak er. »Jetzt muss ich mich wohl melden«, brummte er.
Helis Stimme klang merkwürdig gefühllos. »Tero, sag mir, dass das nicht stimmt... Warum hat Roni das getan?«
»Roni ist unschuldig.«
»Ich hatte schon etwas geahnt, als er neulich zu mir kam. Und du hast es die ganze Zeit gewusst, darum bist du auch gekommen, um ihn zu holen und ...« »Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe? Roni ist unschuldig!« »Und Valtteri ist der Schuldige, ja?« Helis Stimme stieg bis ins Falsett an. »Valtteri hat mir alles erzählt! Wie konntest du nur so etwas Irrsinniges, Grausames und Ungerechtes tun?!«, schrie Heli hysterisch.
Tero hielt das Telefon vom Ohr weg und schaute kurz auf Roni, der ihm zuflüsterte: »Die Polizei versucht vielleicht dein Handy zu orten. Du solltest Schluss machen.«
Das stimmte. Tero drückte das Gespräch sofort weg, obwohl es ihm wehtat. Heli hatte jedes Recht, wütend und außer sich zu sein ... Er würde ihr alles erklären müssen. Aber erst später.
»Auch wenn Toomas recht hat und ein anderer Julia umgebracht hat, bist du nicht unschuldig«, brachte Tero, aufgewühlt durch den Anruf, Roni und sich selbst in Erinnerung. »Du hast eine Körperverletzung begangen und das Opfer dann seinem Schicksal überlassen.«
»Meinst du, das weiß ich nicht?«
Sie fuhren weiter die Straße entlang und schauten auf die Hausnummern. Die Stimmung im Wagen wurde mit jeder nächstgrößeren Nummer gedrückter. Schließlich endete die Straße an einem lichten Wald aus Laubbäumen. Roni hielt an. »Das war's. Die Adresse ist erfunden.«
»Waren auf der Karte im Internet nicht die Hausnummern zu sehen?« »Weiß ich nicht, ich bin nicht dazu gekommen, nachzuschauen«, schnaubte Roni.
»Okay. Lass uns in Ruhe nachdenken, was wir in der Hand haben«, sagte Tero, bemüht, sie beide zu beruhigen.
»Nichts. Die Telefonnummer des Mannes ist unbekannt, alle Anrufe, die er getätigt und empfangen hat, kommen von einer unbekannten Nummer, und die SMS geben auch nichts her. Ein Bengt Broman existiert überhaupt nicht.« »Aber das Foto von mir ist von einer identifizierbaren Nummer aus geschickt worden.«
»Deren Besitzer geheim ist.«
»Vorläufig«, sagte Tero und versuchte, zuversichtlich zu klingen. »Falls an dem, was Toomas sagt, etwas dran ist, dann weiß man beim schwedischen Militärgeheimdienst etwas über diesen >Bengt Broman<. Beziehungsweise bei der Firma, bei der der MUST die russische Technologie bestellt hat, bei Zentech. Aber als Erstes müssen wir uns die Kassette anschauen.« Roni sah ihn ernst und müde an. »Vater ... das ist hoffnungslos.« In Westend, dem feinen Stadtteil von Espoo, blies der herbstliche Meerwind in die Kiefern rings um das moderne, weiß gestrichene Haus. Am Schreibtisch vor dem großen Panoramafenster saß ein kleiner, stämmiger Mann. Anatoli Rybkin fütterte das Faxgerät mit einem Blatt Papier, auf dem ein gewöhnliches Kurvendiagramm den Verkauf einer Ware auswertete. In der Diagrammgrafik waren allerdings Informationen versteckt, die vom Empfänger des Fax' in Stockholm mithilfe eines einfachen visuellen Decodierers gelesen werden konnten. Bei der Kommunikation mit Schweden ging Anatoli nicht das geringste Risiko ein. Der FRA, der technische Geheimdienst der Schweden, überwachte EMails, Telefonate, Faxe, den Verkehr von Kurzmitteilungen und Intranetmitteilungen sowie VoIP-Gespräche. Gerade erst hatte die FRA einen mehr als acht Millionen teuren
Weitere Kostenlose Bücher