Renate Hoffmann
wunderschön war, erschien er ihr abscheulich und hässlich. Sie legte sich in ihr Bett und löschte das Licht. In dieser Nacht plagten sie Albträume ihrer eigenen Hochzeit. Sie träumte davon, wie sie den langen Gang der Dorfkirche hinunter ging. Sie spürte die Kühle der dicken Steinmauern um sich, die ihr wie ein Gefängnis erschienen. Sie fühlte sich am Arm ihres Vaters, als würde sie zum Schafott geführt, nicht zum Altar. Vielleicht wäre es Renate aber auch insgeheim tatsächlich lieber gewesen zu ihrer Hinrichtung geführt zu werden, als Herbert Huber zu ehelichen.
Am kommenden Morgen wachte Renate erschöpft auf. Der Ring lag unschuldig neben ihr. Sie steckte ihn widerwillig an, dann wusch sie sich und schlüpfte in ihre Kleidung. Auf diesen Tag hatte Renate sich eigentlich schon lange gefreut. Doch die Freude wurde überschattet vom Gefühl ihrer unvermeidbar bevorstehenden Hochzeit. Herbert war der einzige Erbe des angesehensten Bäckermeisters im Ort. Er hatte Vermögen, ein schönes Haus und genoss den Respekt der Gemeinde. Eines schönen Tages würde Renate am Ladentisch stehen und Dreikornleibe verkaufen. Sie würde Butterhörnchen in kleine Tüten packen und den Kindern einen Lutscher schenken. Sie würde ihre Ausbildung nicht brauchen. Die vergangenen drei Jahre wären absolut umsonst gewesen.
„Renate, beeil dich, sonst kommst du noch zu spät!“, rief ihre Mutter nach oben. Seufzend verließ Renate ihr Zimmer und ging die Stufen hinunter in die Küche. „Guten Morgen...“, sagte Helga strahlend. Renate wünschte ihr auch einen guten Morgen und zwang sich zu einem Lächeln. „Es war sehr gut, dass du nicht sofort ja gesagt hast...“, sagte ihre Mutter stolz, „...dieses gespielte Zögern hat den Herbert richtig nervös gemacht...“ Renate griff nach einer Tasse und schenkte sich Kaffee ein. Es wunderte sie nicht, dass ihre Familie ihr Zögern für gespielt gehalten hatte, denn ihrer Meinung nach, gab es für Renate keinen besseren. Herbert war der Sohn, den ihr Vater nie gehabt hatte. Die beiden gingen gemeinsam Angeln, schauten gemeinsam Fußball und tranken gemeinsam Bier. Renates Mutter hatte hauptsächlich die finanzielle Sicherheit im Kopf, wenn es um die Partnerwahl ihrer Töchter ging, was Herbert zum absoluten Hauptgewinn machte. Barbara empfand Herbert als einen vollendeten Gentleman. Es war nicht nur einmal vorgekommen, dass Renate sie dabei erwischt hatte, wie sie Herbert schöne Augen machte. Doch das hatte Renate nie wirklich beunruhigt, was vielleicht schon ein warnendes Anzeichen hätte sein können.
Renate ging die Straße entlang. Sie hatte es nicht weit zu ihrer Ausbildungsstelle. Sie nutze die wenigen Minuten, die sie jeden Morgen hatte, um nachzudenken. Und an diesem Tag dachte sie an ihren ersten Kuss mit Herbert zurück. Während sie sich vorstellte, wie seine Lippen langsam auf ihre trafen, gestand sie sich ein, dass sie es damals schon hätte wissen müssen. Schon bei diesem ersten Kuss war besiegelt gewesen, dass Herbert sie nie würde glücklich machen können.
Kapitel 35
Es war ein schwüler Sommertag gewesen. Renate und Herbert waren gemeinsam am Seeufer gelegen. Den ganzen Tag lang hatte Herbert schon versucht den perfekten Augenblick abzupassen, um Renate endlich zu küssen. Sie war unterdessen damit beschäftigt gewesen, diesen perfekten Augenblick mit allen Mitteln zu verhindern, was sie bis zu jenem lauen Abend am See auch erfolgreich erreicht hatte.
Am Nachmittag desselben schwülen Tages hatte Herbert sie in ein kleines Restaurant eingeladen. Anschließend hatte ihr eine rote Rose geschenkt und dann plötzlich schien seiner Meinung nach der perfekte Moment geboren. Herbert hatte sie mitten auf dem Marktplatz in die Arme geschlossen, seine Augen geschlossen und zum Kuss angesetzt. In dem Moment, als sein Mund langsam auf ihren zukam, machte Renate Herbert höflich auf die Basilikumreste aufmerksam, die wohl schon seit dem Essen zwischen seinen Zähnen kleben mussten. Peinlich berührt war Herbert augenblicklich in einem kleinen Café verschwunden und hatte sie entfernt.
Eine Stunde später, Herbert und Renate waren gerade mit Herberts Auto unterwegs, beschloss Herbert erneut, dass der perfekte Augenblick zum Greifen nah war. Er fuhr rechts auf den Seitenstreifen, stellte den Motor ab und lehnte sich zu Renate hinüber. In diesem Augenblick entschied Renate, dass es der perfekte Tag sei um abends schwimmen zu gehen, was sie Herbert umgehend
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