Rendezvous im Hyde Park
beleidige eine Hure."
Das war's. Sebastian Grey, der Mann, der jeder Konfrontation aus dem Weg ging, der Mann, der den Krieg fernab jeder direkten Kampfhandlung verbracht hatte und den Feind stattdessen einen nach dem anderen abgeschossen hatte, der Mann, für den Zorn eine so ermüdende Emotion war ...
Er begann wie ein Berserker zu wüten.
Er hörte auf zu denken, hörte fast auf zu fühlen, und er hatte keinen Blick mehr dafür, was die Leute ringsum sagten oder taten. Sein gesamtes Wesen schrumpfte zusammen und verbog sich, und der primitive, entsetzliche Schrei, der sich seiner Kehle entrang - den hatte er genauso wenig unter Kontrolle wie den Rest seines Körpers, der nach vorn schoss, fast flog, und seinen Onkel zu Boden schleuderte.
Sie krachten durch einen Tisch, die Tischplatte zersplitterte unter Lord Newburys Masse, und zwei mit brennenden Kerzen bestückte Kandelaber fielen ebenfalls zu Boden.
Jemand kreischte, und Sebastian nahm am Rande wahr, wie jemand die Flammen austrat, doch selbst wenn das gesamte Haus in Flammen aufgegangen wäre, hätte ihn das nicht von seinem einzigen Ziel abbringen können.
Die Hände um die Kehle seines Onkels zu legen.
„Entschuldige dich bei der Dame", knurrte er und stieß sein Knie dorthin, wo es am meisten wehtat.
Unter diesem beleidigenden Kniestoß heulte Newbury auf. Sebastians Daumen lagen sehnsüchtig auf der Luftröhre seines Onkels. „Das klang aber nicht wie eine Entschuldigung."
Sein Onkel funkelte ihn wütend an und spuckte aus.
Sebastian verzog keine Miene. „Entschuldige dich", sagte er noch einmal, und betonte jede Silbe hart und abgehackt.
Ringsum schrien die Leute, jemand packte ihn sogar am Arm, um ihn von seinem Onkel wegzuziehen, bevor er ihn noch umbrachte. Aber Sebastian hörte kein Wort von alldem, was die Leute sagten. Außer der heißen Wut, die ihm in den Ohren rauschte, nahm er nichts wahr. Er hatte in der Armee gedient. Von seiner Scharfschützenstellung aus hatte er Dutzende französischer Soldaten erschossen, aber er hatte einem anderen Menschen niemals den Tod gewünscht.
Bis jetzt.
„Entschuldige dich, sonst bringe ich dich um, Gott steh mir bei", spie er seinem Onkel entgegen. Er verstärkte seinen Griff, sah fast frohlockend, wie die Augen seines Onkels hervorquollen und sein Gesicht sich lila verfärbte, und ...
Und dann wurde er weggezerrt und festgehalten, und er hörte, wie Edward ihn, vor Anstrengung keuchend, an-zischte: „Reiß dich zusammen."
„Entschuldige dich bei Miss Winslow", knurrte Sebastian seinen Onkel an und versuchte sich loszureißen. Doch Edward und Lord Challis hielten ihn eisern fest.
Zwei weitere Gentlemen halfen Lord Newbury, sich aufzusetzen, und dann saß er auf dem Boden, um sich verstreut die Trümmer des Tisches, den sie zerbrochen hatten. Er schnappte nach Luft, sein Teint war immer noch scheußlich gerötet, aber in ihm war noch so viel Hass, dass er versuchte, Annabel anzuspucken. „Hure", krächzte er.
Sebastian stieß einen weiteren Wutschrei aus und warf sich auf seinen Onkel, wobei er Edward und Lord Challis hinter sich herzog. Zusammen schlingerten sie ein paar Schritte vor, aber sie konnten Sebastian festhalten, ehe der seinen Onkel erreichte.
„Entschuldige dich bei der Dame", stieß Sebastian hervor.
„Nein."
„Entschuldige dich!", röhrte er.
„Es ist schon gut", sagte Annabel. Möglicherweise. Nicht einmal sie konnte den zornroten Nebel in seinem Hirn durchdringen.
Noch einmal versuchte er sich loszureißen, seinen Onkel zu erreichen. Das Blut kochte in seinen Adern, sein Puls raste, und sein ganzer Körper sehnte sich nach einem Kampf.
Er wollte Schmerzen zufügen. Er wollte verstümmeln. Aber Edward und Lord Challis hielten ihn eisern zurück, und so holte er stattdessen tief Luft und sagte: „Entschuldige dich bei Miss Winslow. Wenn nicht, verlange ich Satisfaktion, Gott steh mir bei."
Mehrere Köpfe fuhren zu ihm herum. Hatte er gerade von einem Duell gesprochen? Selbst Sebastian war sich da nicht ganz sicher.
Lord Newbury rappelte sich jedoch nur mühsam auf die Beine und sagte: „Haltet ihn mir vom Leib."
Sebastian hielt die Stellung, obwohl die beiden Männer ihn zurückzudrängen versuchten. Er beobachtete, wie Newbury sich die Ärmel abklopfte, und alles, was er denken konnte, war: Das ist nicht richtig. So durfte es nicht enden, sein Onkel durfte damit nicht so einfach davonkommen.
Das war nicht gerecht, das war nicht richtig, Annabel hatte etwas
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