Rendezvous mit einem Mörder
die Rolle des empörten, trauernden Großvaters zurecht.«
DeBlass sagte kein Wort. In seiner Wange zuckte ein winzig kleiner Muskel, und sein Blick irrte suchend durch den Raum.
»Eine wirklich faszinierende Geschichte, Lieutenant«, erklärte der Anwalt. »Aber dabei bleibt es dann auch schon – es ist eine Geschichte. Das alles sind bloße Vermutungen. Der verzweifelte Versuch der Polizei, eine schwierige Situation wie auch immer in den Griff zu bekommen und so der Schelte durch die Medien und die Öffentlichkeit zu entgehen. Natürlich zeugt es von einem geradezu perfekten Timing, dass diese absurden und dennoch schädlichen Anschuldigungen gegen den Senator genau in dem Augenblick erhoben werden, in dem er seine Gesetzesvorlage zur Stärkung der öffentlichen Moral zur Abstimmung vorlegt.«
»Wie haben Sie die anderen beiden ausgewählt? Wie kamen Sie ausgerechnet auf Lola Starr und Georgie Castle? Hatten Sie auch das vierte, fünfte und sechste Opfer bereits ausgesucht? Glauben Sie wirklich, danach hätten Sie so einfach aufhören können? Hätten Sie tatsächlich auf etwas verzichten können, was Ihnen das Gefühl gab, mächtig, unbesiegbar und rechtschaffen zu sein?«
DeBlass war nicht mehr lila. Er war grau. Sein Atem kam in schnellen, abgehackten Stößen, und als er abermals nach seinem Glas griff, warf er es unabsichtlich auf den Boden.
»Das Verhör ist beendet.« Der Anwalt sprang von seinem Stuhl und half dem Senator auf die Beine. »Der Gesundheitszustand meines Mandanten ist bedenklich. Er braucht umgehende medizinische Betreuung.«
»Ihr Mandant ist ein Mörder. Nicht mehr lange, und er bekommt in einer der Sträflingskolonien jede medizinische Betreuung, die erforderlich ist, um ihn die Gefangenschaft möglichst lange auskosten zu lassen.« Trotzdem drückte sie auf einen Knopf, woraufhin sich die Türen öffneten und ein uniformierter Beamter den Befragungsraum betrat. »Rufen, Sie die Sanitäter«, wies sie den Polizisten an. »Der Senator fühlt sich ein bisschen gestresst. Aber ich habe noch gar nicht richtig angefangen«, wandte sie sich wieder an DeBlass. »Es wird also ganz sicher noch enger für Sie werden.«
Nachdem sie ihren Bericht geschrieben und ein Gespräch mit der Staatsanwältin geführt hatte, kämpfte sich Eve zwei Stunden später durch den dichten Verkehr. Sie hatte bereits einen Großteil von Sharon DeBlass’ Aufzeichnungen gelesen, und jetzt musste sie für ein paar Stunden an etwas anderes denken als an den kranken Mann, der aus einem jungen Mädchen einen beinahe ebenso gestörten Menschen gemacht hatte wie er selber einer war.
Denn sie wusste, das Ganze ähnelte allzu sehr ihrer eigenen Geschichte. Man hatte stets eine Wahl, dachte sie in grüblerischer Stimmung. Und Sharon hatte eine Wahl getroffen, die sie mit dem Tod bezahlt hatte.
Sie musste etwas Dampf ablassen und die Geschehnisse Schritt für Schritt mit einem Menschen durchgehen, der ihr zuhören, ihre Meinung schätzen, ihr seine Unterstützung geben würde. Einem Menschen, der, wenn auch nur für eine kurze Weile, zwischen ihr und den Geistern der Vergangenheit stünde. Zwischen ihr und der tatsächlichen ebenso wie der möglichen Vergangenheit.
Also lenkte sie den Wagen in Richtung des Stadthauses von Roarke.
Beim Summen ihres Auto-Links betete sie nur, es wäre kein Rückruf an die Arbeit. »Dallas.«
»Hallo, Kleine.« Auf dem Bildschirm erschien Feeneys müdes Gesicht. »Ich habe gerade die Disketten von der Befragung durchlaufen lassen. Du hast deine Sache wirklich gut gemacht.«
»Wegen der ständigen Auseinandersetzungen mit diesem verdammten Anwalt bin ich nicht so weit gekommen wie ich wollte. Aber ich werde ihn knacken, Feeney. Das schwöre ich.«
»Da bin ich mir ganz sicher. Aber, ah, ich muss dir etwas sagen, was dir ganz sicher nicht besonders gefallen wird. De-Blass hatte eine leichte Herzattacke.«
»Himmel, er wird ja wohl nicht ausgerechnet jetzt das Zeitliche segnen?«
»Nein. Nein. Sie haben ihn stabilisiert. Außerdem gibt es Gerede darüber, dass er nächste Woche eine neue Pumpe verpasst bekommen soll.«
»Gut.« Sie atmete hörbar auf. »Ich möchte, dass er noch möglichst lange lebt – und zwar hinter Gittern.«
»Unsere Chancen stehen nicht schlecht. Die Staatsanwältin ist bereit, dich heilig zu sprechen, aber fürs Erste ist uns der Schweinehund entwischt.«
Sie trat auf die Bremse, und ein ärgerliches Hupkonzert hinter ihr veranlasste sie, den Wagen an den Rand
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