Rendezvous mit Übermorgen
weder feindlich noch freundlich. Es könnte ganz leicht zu dem Zweck gebaut worden sein, mögliche sich nähernde Satelliten zu orten und zu berechnen, von welchem Ausgangspunkt das dazugehörige Raumschiff gekommen sein muss. Die Orbitaländerung mit Kurs in Erdnähe, die Rama vornimmt, ist vielleicht also nichts weiter als eine Standardreaktion auf eine von einer fremden, anderen den Weltraum befahrenden Spezies ausgelöste Begegnung. Vielleicht kommt Rama ja einzig zu dem Zweck, Näheres über uns herauszufinden.«
»Hervorragend«, sagte Janos Tabori grinsend. »Das war aber wirklich Grenzphilosophie.«
Wakefield lachte nervös.
»Kosmonautin Turgenjew«, sagte Francesca und schwenkte die Kamera, »teilen Sie die Ansicht Ihres Kameraden? Kurz nach dem Tode von General Borzow haben Sie unverhohlen die besorgte Vermutung geäußert, dass möglicherweise irgendeine >höhere Macht<, also die Ramaner, bei seinem Tod die Hand im Spiel gehabt haben könnten. Wie denken Sie heute darüber?«
Die sowjetische Pilotin, sonst so wortkarg, starrte mit ihren melancholischen Augen direkt ins Kameraobjektiv. »Da«, sagte sie. »Ich glaube, Kosmonaut Wakefield ist ein großartiger, brillanter Technospezialist Aber er hat nicht die schwierigere Fragen beantwortet: Warum hat Rama das Manöver gerade während der Operation von General Borzow gemacht? Warum haben die Bioten Kamerad Wilson zerfetzt? Wo ist Professor Takagishi?« Irina Turgenjew brach ab, um ihre Gefühle wieder unter Kontrolle zu bringen. »Wir werden Nicole des Jardins nicht finden. Rama ist vielleicht nur eine Maschine, aber wir Kosmonauten haben bereits erfahren, wie gefährlich es sein kann. Wenn es auf die Erde zufliegt, dann habe ich Angst für meine Familie, meine Freunde, für die gesamte Menschheit. Es gibt keine Möglichkeit vorherzusagen, was es möglicherweise tun wird. Und wir hätten nicht die Stärke, das zu verhindern.«
Minuten später trug Francesca Sabatini ihre Video-Automatic hinaus ans Gestade des Eismeers, um dort eine Schlusssequenz zu drehen. Sie achtete genau auf die Uhr, ehe sie - genau fünfzehn Sekunden vor dem erwarteten Abschluss des Rama-Manövers - die Kamera laufen ließ. »Das Bild auf Ihren Heim-schirmen«, verkündete sie in bester Reportermanier, »wird wohl ein bisschen hüpfen, weil der Ramaboden unter unseren Füßen hier seit Beginn der Kursänderung vor siebenundvierzig Minuten unentwegt bebt. Unsere Navigationstechniker haben uns gesagt, dieses Beben wird innerhalb der nächsten paar Sekunden aufhören, wenn Rama seine Kursänderung Richtung Erde beendet hat. Ihre Berechnungen stützen sich natürlich nur auf Vermutungen bezüglich der Absichten von Rama...« Francesca brach mitten im Satz ab und atmete heftig. »Der Boden schwankt nicht mehr. Das Manöver ist beendet. Rama ist jetzt auf einer Flugbahn direkt auf die Erde zu.«
37 Im Stich gelassen
Als sie zum ersten Mal erwachte, war Nicole benommen, und es fiel ihr sehr schwer, einen Gedanken festzuhalten. Ihr Kopf tat weh, und sie spürte stechende Schmerzen im Rücken und in den Beinen. Sie wusste nicht, was mit ihr passiert war. Mit Mühe ertastete sie ihre Wasserflasche und trank. Ich hab bestimmt eine Gehirnerschütterung , dachte sie, ehe sie wieder einschlief.
Als sie wieder erwachte, war es dunkel. Aber in ihrem Kopf hing nicht mehr dieser Nebel. Sie wusste nun, wo sie war. Sie hatte nach Takagishi gesucht und war dabei in eine Grube gerutscht. Und sie erinnerte sich auch, dass sie Francesca gerufen hatte und wie schmerzhaft der scheußliche Absturz gewesen war. Sie nahm sofort den Kommunikator vom Gurt.
»Hallo! Newton-Team! Hört ihr mich?«, sagte sie und kam langsam auf die Beine. »Kosmonautin des Jardins meldet sich zurück. Ich war ... ja, indisponiert ist wohl ein passendes Wort. Ich bin in ein Loch gefallen, hab mir den Kopf angeschlagen und war bewusstlos. Sabatini weiß, wo ich bin.«
Dann wartete sie. Ihr Empfänger gab keine Antwort. Sie drehte die Lautstärke höher, bekam aber dadurch nur irgendeine Fremdstatik herein. Es ist schon dunkel , dachte sie, und vorher hatten wir doch höchstens zwei Stunden lang schon Tag... Sie wusste, dass die Helligkeitsperioden in Rama etwa dreißig Stunden dauerten. War sie so lang bewusstlos gewesen? Oder hatte Rama sich wieder mal etwas Unvorhersehbares einfallen lassen? Sie blickte auf ihre Uhr, die die seit dem Beginn der zweiten Exkursion verstrichene Zeit registrierte, und rechnete rasch hoch. Also
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