Requiem (Amor-Trilogie) (German Edition)
und auf eine Gelegenheit zur Flucht warten. Auf keinen Fall will ich weniger als drei Straßen von hier entfernt sein, wenn das Haus in die Luft fliegt.
Hana ist uns voraus die Stufen zur Veranda hochgegangen. Sie wartet mit dem Rücken zu mir, bis einer der Wachmänner vortritt und die Tür aufschließt. Ich verspüre einen Anfall von Hass für dieses zerbrechliche verwöhnte Mädchen mit ihren makellosen weißen Tischdecken und den weitläufigen Zimmern.
Im Haus ist es überraschend düster, voller polierter dunkler Eiche und Leder. Die meisten Fenster sind mit kunstvollen Gardinen und Samtvorhängen halb verhängt. Hana will mich erst ins Wohnzimmer führen, überlegt es sich dann aber anders. Sie geht weiter den Flur entlang, ohne sich die Mühe zu machen, das Licht anzuschalten, und dreht sich nur einmal nach mir um, um mich mit einem Ausdruck anzusehen, den ich nicht deuten kann. Dann führt sie mich schließlich durch zwei Schwingtüren in die Küche.
Dieser Raum ist im Unterschied zum Rest des Hauses sehr hell. Große Fenster führen auf einen riesigen Garten hinaus. Das Holz hier ist geschliffene Kiefer oder Esche, glatt und fast weiß, und die Arbeitsplatten sind aus makellosem weißen Marmor. Die Wachen folgen uns in den Raum.
Hana dreht sich zu ihnen.
»Lassen Sie uns allein«, sagt sie.
Sie wird vom schräg einfallenden Sonnenlicht angestrahlt und es sieht aus, als würde sie selbst schwach leuchten. Dadurch wirkt sie wieder wie ein Engel. Ich bin beeindruckt von ihrer Ruhe und von der Stille des Hauses, seiner Sauberkeit und Schönheit.
Und irgendwo tief unten in seinem Bauch wächst ein Tumor heran und tickt bis er explodiert.
Der Wachmann, der gefahren ist – der, der mich vorhin im Schwitzkasten hatte –, protestiert, aber Hana bringt ihn schnell zum Schweigen.
»Ich habe gesagt, Sie sollen uns allein lassen.« Kurz erwacht die alte Hana zum Leben; ich sehe den Trotz in ihrem Blick, das herrische Zucken des Kinns. »Und machen Sie die Tür hinter sich zu.«
Die Wachen verlassen widerstrebend den Raum. Ich spüre das Gewicht ihrer Blicke auf mir und weiß, wenn Hana nicht wäre, wäre ich bereits tot. Aber ich weigere mich, ihr dankbar zu sein. Den Gefallen tue ich ihr nicht.
Als sie weg sind, sieht Hana mich eine Weile schweigend an. Ihre Miene ist undurchschaubar. Schließlich sagt sie: »Du bist zu dünn.«
Ich muss beinahe lachen. »Tja, weißt du, die Restaurants in der Wildnis sind fast alle geschlossen. Sie sind zerbombt, um genau zu sein.« Ich gebe mir keine Mühe, den scharfen Unterton aus meiner Stimme herauszuhalten.
Sie geht nicht darauf ein, sieht mich bloß weiter an. Ein weiterer Moment des Schweigens verstreicht. Dann zeigt sie auf den Tisch. »Setz dich.«
»Ich stehe lieber, danke.«
Hana runzelt die Stirn. »Sieh es als Befehl.«
Ich glaube nicht ernsthaft, dass sie die Wachen zurückruft, wenn ich mich weigere, mich zu setzen, aber es hat keinen Zweck, es zu riskieren. Ich lasse mich auf einen Stuhl sinken und sehe sie böse an. Aber ich darf es mir nicht bequem machen. Seit dem Tuten des Nebelhorns sind mindestens zwanzig Minuten vergangen. Das heißt, mir bleiben weniger als vierzig Minuten, um hier rauszukommen.
Sobald ich sitze, dreht Hana sich um und verschwindet im hinteren Teil der Küche, wo ein dunkler Durchgang neben dem Kühlschrank eine Speisekammer vermuten lässt. Bevor ich an Flucht denken kann, taucht sie mit einem in ein Geschirrtuch gewickelten Laib Brot wieder auf. Sie stellt sich an die Arbeitsplatte und schneidet dicke Scheiben ab, die sie mit Butter bestreicht und auf einen Teller häuft. Dann geht sie zur Spüle und macht das Geschirrtuch nass.
Als ich beobachte, wie sie den Wasserhahn aufdreht und das dampfende Wasser sehe, das augenblicklich herauskommt, bin ich neidisch. Es ist ewig her, seit ich mich richtig geduscht habe oder mich woanders waschen konnte als in eisigen Flüssen.
»Hier.« Sie reicht mir das heiße Handtuch. »Du siehst furchtbar aus.«
»Ich hatte keine Zeit, mich zu schminken«, entgegne ich sarkastisch. Aber ich nehme das Handtuch trotzdem und drücke es vorsichtig auf mein Ohr. Ich blute wenigstens nicht mehr, auch wenn Flecken getrockneten Blutes auf dem Handtuch zurückbleiben. Ich sehe sie an, während ich mir Gesicht und Hände abwische. Ich frage mich, was sie wohl denkt.
Als ich mit dem Handtuch fertig bin, schiebt sie mir den Brotteller zu und füllt ein Glas mit Wasser, zusammen mit fünf echten
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