Rette mich
schlimmer verletzt worden als ich. Schlimmer sogar, als der Unfall es rechtfertigte.
Sein Gesicht hatte ausgesehen wie gehacktes Fleisch, und obwohl sein Nephilimblut ihn beinahe augenblicklich geheilt hatte, hatte ich von dem Moment an, in dem er mich aus meiner Bewusstlosigkeit gerüttelt und ich meinen ersten nebligen Blick auf ihn geworfen hatte, gewusst, dass ihm etwas zugestoßen war, nachdem ich das Bewusstsein verloren hatte. Er konnte es ganz und gar verleugnen, aber er hatte ausgesehen, als wäre er von Tigern angefallen worden.
Er war erschöpft und todmüde, weil er heute einen Kampf mit einer Gruppe gefallener Engel ausgefochten hatte. Zumindest war das meine augenblickliche Theorie. Wenn ich die Geschehnisse rückwärts rekonstruierte, war es die einzige Erklärung, die einen Sinn ergab. Verdammte gefallene Engel! Waren das nicht die Worte gewesen, die Hank einen Sekundenbruchteil vor dem Unfall so bösartig geflucht hatte? Er hatte nicht geplant, auf sie zu stoßen … Was also hatte er geplant gehabt?
Ein schreckliches Gefühl nagte an mir. Eines, das, wie mir im Nachhinein klar wurde, in meinem Hinterkopf gewesen war, seit Hank bei mir in der Schule aufgetaucht war. Was, wenn Hank die heutigen Geschehnisse tatsächlich vorbereitet hatte? Konnte er meine Mutter die Treppe hinuntergestoßen haben? Dr. Howlett sagte, dass sie anfangs unter Amnesie gelitten hätte, ein Werkzeug, das Hank benutzt hätte, um sie davon abzuhalten, sich an die Wahrheit zu erinnern. Dann hatte er mich von der Schule abgeholt … Wozu? Irgendein Stück in dem Puzzle fehlte.
»Es riecht verbrannt«, sagte Hank. »Du denkst scharf über etwas nach.«
Seine Stimme riss mich in die Gegenwart zurück. Ich starrte zu ihm hinauf in dem Versuch, seine Beweggründe aus seinem Gesichtsausdruck herauszulesen. Und da bemerkte ich, dass sein Blick ebenso starr auf mich gerichtet war. Sein Blick war so aufmerksam, dass er wie in Trance zu sein schien. Zu was für einem Ergebnis auch immer ich gerade gekommen wäre, es schwamm mir davon. Meine Gedanken kippten zur Seite. Plötzlich waren sie alle in der falschen Reihenfolge, und ich konnte mich nicht erinnern, worüber ich eben nachgedacht hatte. Je mehr ich versuchte, mich zu erinnern, umso schneller fielen meine Gedanken in einen Abgrund weit hinten in meinem Gehirn.
Ein Kokon zog sich um mein Bewusstsein zusammen und schaffte jede kognitive Fähigkeit sicher außer Reichweite. Es fing alles von vorn an. Das unordentliche, schwerfällige Gefühl, dass ich nicht in der Lage war, meine eigenen Gedanken zu kontrollieren.
»Ist deine Freundin denn einverstanden damit, dich abzuholen, Nora?«, fragte er mit derselben laserartigen Aufmerksamkeit.
Irgendwo tief in mir wusste ich, dass ich Hank nicht die Wahrheit sagen sollte. Ich wusste, dass ich sagen sollte, dass Vee mich abholen käme. Aber welchen Grund hatte ich, ihn anzulügen?
»Ich habe Vee angerufen, aber sie hat nicht abgenommen.«
»Ich fahre dich gern, Nora.«
Ich nickte. »Ja, danke.«
In meinem Hirn herrschte Durcheinander, und ich fand keinen Weg heraus. Ich ging neben Hank den Flur entlang, mit kalten, zitternden Händen. Warum zitterte ich? Es war nett von Hank, mich nach Hause zu fahren. Er mochte meine Mutter tatsächlich so sehr, um sich meinetwegen Umstände zu machen … oder etwa nicht?
Die Heimfahrt war ereignislos, und als wir am Farmhaus ankamen, folgte Hank mir hinein.
Ich blieb direkt stehen, nachdem ich eingetreten war. »Was machst du?«
»Deine Mutter würde wollen, dass ich mich heute Nacht um dich kümmere.«
»Du bleibst die ganze Nacht?« Meine Hände begannen wieder zu zittern, und trotz meines wattegefüllten Kopfs wusste ich, dass ich einen Weg finden musste, ihn loszuwerden. Es war keine gute Idee, ihn hier übernachten zu lassen. Aber wie konnte ich ihn zum Gehen zwingen? Er war stärker. Und selbst wenn ich ihn hinauswerfen könnte, meine Mutter hatte ihm einen Hausschlüssel gegeben. Er würde sofort wieder hereinkommen.
»Du lässt kalte Luft herein«, sagte Hank und löste meine Hand sanft von der Tür. »Lass mich dir helfen.«
Richtig, dachte ich und lächelte über meine eigene zerstreute Dummheit. Er wollte helfen.
Hank warf seine Schlüssel auf die Anrichte, ließ sich auf die Couch sinken und legte die Füße auf die Ottomane. Er sah einladend seitwärts auf das Kissen neben ihm. »Willst du nicht ein wenig fernsehen und dich entspannen?«
»Ich bin müde«, sagte ich und
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