Rettungskreuzer Ikarus Band 040 - Flammende Begeisterung
die heiligen Artefakte im Thronsaal der Großen Mutter?«
»Ja. Was ist mit denen?«
»Sie sind heute Nacht zu neuem Leben erwacht. Und die Große Mutter hat angefangen, sie zu bedienen. Komm am besten gleich mit, das musst du gesehen haben!«
Je tiefer N!aag in den Bau hinab ging und je dichter das Gedränge wurde, desto mehr fühlte er sich den anderen Mitgliedern des Stammes verbunden. Die kurze Momente der Selbständigkeit an der Oberfläche verblassten in seiner Erinnerung, als er immer mehr in das Kollektivbewusstsein seines Volkes eintauchte, und jeglicher Rest von Individualität verdunstete wie eine Pfütze im Sonnenlicht. Er spürte die Aufregung und die hektische Betriebsamkeit der anderen, und er wusste von ihren Ängsten und Hoffnungen, auch ohne ihre Antennen zu berühren. Zu dem Zeitpunkt, da er und N!uuk bis in den Thronsaal des Stammes hinab gestiegen waren, waren sie bereits auf dem gleichen Kenntnisstand wie der Rest der Insektoiden.
Im Mittelpunkt der gewaltigen Höhle befand sich das Plateau, auf dem die Große Mutter saß. Sie war deutlich größer als der Rest ihres Volkes, und ihre geisterhafte Blässe zeugte davon, dass sie seit Jahrhunderten nicht mehr das Licht der Sonne gesehen hatte. Ihr riesenhafter, aufgedunsener Hinterleib pumpte unaufhörlich, und im Minutentakt legte sie neue Eier in die ihr entgegen gereckten vorderen Beinpaare der wartenden Arbeiterinnen. Rings um ihren Thron befanden sich metallisch glänzende Apparate mit fremdartigen Bedienelementen und blinkenden Lampen, die in dem dunklen Gewölbe aus Fels und Lehm merkwürdig fehl am Platz wirkten. Noch nie hatte N!aag die Lichter an den Konsolen in so rascher Folge aufblitzen sehen wie heute. Er wusste, dass dies etwas zu bedeuten haben musste und allem Anschein nach der Grund für die allgemeine Unruhe im Stamm war. Die Große Mutter war in das Studium der sie umgebenden Geräte vertieft und reckte nur ab und zu ihren Untergebenen die Fühler entgegen. Was sie diesen mitteilte, wurde in Wellen an die versammelten Arbeiter und Krieger weitergegeben, von denen sich inzwischen einige zehntausend in der Höhle eingefunden hatten.
So erfuhr auch N!aag, was in den letzten Stunden geschehen war. Irgendwann kurz nach Mitternacht waren die Artefakte, welche dem Stamm vor Urzeiten von höheren Wesen als Zeichen der ewigen Freundschaft geschenkt worden waren, zum Leben erwacht. Ihr Blinken und Summen hatte die Große Mutter geweckt, und sogleich hatte sie, die älter war als alle anderen Angehörigen des Stammes, gewusst, was zu tun war. Sie hatte das vor Äonen Gelernte angewendet und begonnen, mit den Artefakten zu kommunizieren. Dabei hatte sie erfahren, dass es Zeit war, aufzubrechen.
N!aag erschauerte und entzog sich für einen Moment dem mentalen Netzwerk des Stammes. Aufbrechen? Wie oft hatte er, wenn er vor dem Bau Wache gehalten hatte, zu den Sternen hinaufgeschaut und sich gefragt, ob irgendwo dort draußen ähnliche Wesen wie er lebten. Manchmal hatte er sich sogar vorgestellt, wie es war, zu den Sternen zu fliegen. Und nun war genau das die Anweisung, welche die Große Mutter von den Artefakten erhalten hatte.
Geht!
Verlasst diese Welt!
Raumschiffe stehen für euch bereit! Sein Herz schlug schneller bei dem Gedanken, dass sein Traum Wirklichkeit werden würde – und zwar schneller, als er es sich je hätte denken können. Als er sich wieder dem Kollektivbewusstsein des Stammes hingab, hörte er, wie sein Nest für die Steuerung der Raumschiffe eingeteilt wurde. Wenige Augenblicke später strömte eine Flut von Informationen auf ihn, N!uuk und die anderen Angehörigen ihres Nests ein – und ohne jemals in seinem Leben ein Raumschiff betreten zu haben, wusste N!aag nach einigen Minuten nicht nur, wie ein solches Vehikel aussah, sondern auch wie man es startete, flog und sicher wieder landete. Vor seinem geistigen Auge erschienen Sternenkarten und Schaltpläne, Koordinaten und Flugrouten, Befehlsfolgen und mathematische Gleichungen. All dies stammte, wie er richtig vermutete, aus den in den Artefakten verborgenen Speichermedien. Viele seiner wirren Träume von Reisen zu den Sternen ergaben plötzlich einen neuen Sinn. Vielleicht war sein Nest ja immer schon als dasjenige ausersehen gewesen, welches die Piloten der Raumschiffe stellen sollte. Vielleicht seine Tagträumereien sogar eine Vorahnung dessen gewesen, was ihn nun erwartete.
Zehn Minuten später war N!aag ein ausgebildeter Pilot auf dem Weg ins Cockpit seines
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