Revanche - Exposure
gestorben.«
Emma klappte der Kinnladen hinunter. Wenn sie mit allem gerechnet hätte, aber damit nicht. »Du machst Witze!«
»Schön wär’s, Kleine. Mensch, sein Anwalt hatte ihn gerade auf Bewährung freibekommen, und dann das.«
»Moment mal«, unterbrach ihn Emma. Sie umrundete den Küchentisch und setzte sich auf Elvis’ Schoß, schlang die Arme um seinen Hals. »Was heißt hier auf Bewährung?«
»Er wurde auf freien Fuß gesetzt, weil es sein erstes Vergehen war und aus Sicht des Richters kein Kapitalverbrechen - auch wenn wir das anders sehen mögen.« Er machte eine wegwerfende Geste mit seiner Handprothese. »Wie dem auch sei, der Anwalt erwirkte gestern Morgen die Freilassung, und als er heute Morgen in seiner Werkstatt vorbeischaute, weil er ein weiteres Gespräch mit ihm führen wollte, war Bill tot.« Er schmiegte sie an sich. »Wie tragisch, Em.«
»Und die Todesursache? Mon Dieu , Elvis, er war doch
noch verhältnismäßig jung, vierzig oder höchstens fünfundvierzig?«
»Er war dreiundvierzig. Und es sieht schwer nach einem Herzinfarkt oder einer Embolie aus. Aber das erfahren wir erst nach der Autopsie. Seine Leiche wird mit der Nachmittagsfähre nach Seattle gebracht. Grundgütiger, Em.« Er rieb seine Wange an ihrer Brust und schaute zu ihr hoch. »Du weißt, dass ich kurz davor stand, ihm an die Gurgel zu gehen, aber das hier haut mich fast um. Die Vorstellung, dass man jemanden am liebsten tot sehen möchte, und die nackte, traurige Realität sind zwei verschiedene Schuhe.«
»Keine Frage. War bestimmt ein Wahnsinnsschock für dich, Cher .«
»O ja, das kannst du laut sagen.« Er atmete hörbar aus.
Am Freitag fuhr Emma mit Gracie in die Klinik zum Fädenziehen. Alles, was Beine hatte, schien in Port Flannery unterwegs und geradezu versessen darauf, mit Emma über Bill Gertz’ plötzlichen Tod zu diskutieren. Ob ihr und ihrer kleinen Tochter das denn nicht nahe gegangen sei?
Vage nickend und mit einem viel sagenden Blick zu Gracie glückte es Emma, die Empfangssekretärin, die Krankenschwester und schließlich den Arzt davon abzubringen, das Thema zu vertiefen. Diese Taktik funktionierte aber leider nicht bei vielen Einheimischen, die sie auf dem Rückweg zum Wagen anquatschten. Vermutlich war es nur menschlich, dass sie über diesen unerwarteten Todesfall reden wollten, überlegte Emma. Allerdings verspürte sie keinesfalls das Bedürfnis, im Beisein der kleinen Gracie darüber zu diskutieren. Wie sollte sie einer
Dreijährigen erklären, dass dieser Mann ihr die Verletzungen zugefügt hatte? Selbst als Erwachsene fiel es ihr sehr schwer, seine Motive nachzuvollziehen.
Anders als sonst billigte sie, dass Gracie ein Stückchen vorausging. Währenddessen versuchte sie, eine Horde besonders anhänglicher Frager loszuwerden. Da sie mit diplomatischem Feingefühl nicht weiterkam, wartete Emma, bis Gracie außer Hörweite war, dann erklärte sie den Leuten nachdrücklich entschieden, dass sie nicht vorhabe, sich im Beisein ihres Kindes zu äußern. Mit einem knappen Nicken verabschiedete sie sich, um nach Gracie Ausschau zu halten.
Und blieb wie vom Donner gerührt mitten auf dem Gehweg stehen, als sie die Kleine entdeckte.
»Mommy, Mommy, guck mal, wer zu unserer Hochzeit gekommen ist!«, rief Gracie aufgeregt, sobald sie ihre Mutter erspähte.
Elegant in einen sündhaft teuren, grauen Leinenanzug mit blütenweißem Hemd gekleidet, stand Grant Woodard neben der geöffneten Fahrertür eines chromglänzenden, schwarzen Lincoln Continental. Er hatte Gracie auf dem Arm. Verzückt strahlend schmiegte sie sich an ihn.
»Es ist Großpapa, Maman ! Guck mal, guck mal, Großpapa ist hergekommen!«
Bei Emmas Anblick verzogen sich Grants Lippen zu einem Lächeln, das seine Augen indes nicht erreichte. Sein Blick kälter als ein arktischer Sturm, musterte er Emma von oben bis unten. »Komm, steig in den Wagen, Emma«, sagte er, bemüht, verbindlich zu klingen.
Die Anstrengung hätte er sich sparen können. Emma kannte seinen Befehlston freilich zur Genüge.
19
Nein, sie würde nicht zu ihm in die Limousine steigen. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und fixierte ihn mit zusammengekiffenen Augen. Hier, auf offener Straße, hätte sie noch eine winzige Chance, heil mit Gracie davonzukommen. Sie mochte sich erst gar nicht ausmalen, was passieren würde, wenn sie seine Anweisung befolgte. »Nein, jetzt nicht, Grant«, erwiderte sie höflich. »Lass uns doch lieber in Ruby’s Café
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