Revanche - Exposure
gewahrte er Clare, die mit der hysterisch schluchzenden Gracie ins Blickfeld stolperte. Automatisch schob er den Lauf der Waffe nach oben und lief zu ihnen.
»Gott sei Dank, dass du da bist«, keuchte Clare atemlos und drückte ihm Gracie in den Arm. Das Kind schien ihn gar nicht zu registrieren; es weinte und wehrte sich nach Kräften.
Um Näheres zu erfahren, würde er die Kleine zunächst beruhigen müssen, schoss es Elvis spontan durch den Kopf. Deshalb gab er Clare die Waffe und streichelte mit seiner gesunden Hand zärtlich über Gracies Wange. Ihr kleines Gesicht von Entsetzen gezeichnet, hob er sie hoch, senkte seine Augen beschwörend in die ihren. »Hör auf zu weinen, Grace Melina«, sagte er streng. »Ich muss deine Mommy von deinem Großpapa wegholen, bevor er ihr wehtut …«
»Aua macht«, schniefte Gracie und nickte.
»Und deshalb musst du aufhören zu weinen«, beschwor er sie. Gottlob verlor sich ihre Hysterie, und sie schniefte nur noch leise. Er drückte sie kurz. »Sehr schön, du bist ein tolles Mädchen«, flüsterte er. Von unterdrückten Schluchzern geschüttelt, hob und senkte sich ihr kleiner Brustkorb, während sie japsend Luft holte.
Elvis putzte ihr mit seinem Taschentuch sanft die Nase. Sobald sie wieder freier atmete, sank ihr Kopf kraftlos an seine Schulter, der Daumen wanderte in den Mund. Er spähte über ihr Lockenköpfchen hinweg zu Clare. »So, und jetzt erzähl.«
Clare, die genau wie das Kind gegen eine Panikattacke ankämpfte, rang um Fassung. »Er hat sie, Elvis, und sie sind ganz nah an den Klippen. Verdammt nah!« In diesem Augenblick hatte sie wieder albtraumartig Evan vor Augen. Wie der Fels unter den Füßen ihres Sohnes weggebrochen und er unaufhaltsam in den Tod gestürzt war.
Elvis schnappte sich sein Gewehr und drückte Gracie wieder in Clares Arme. »Geht zurück zum Wagen«, wies er sie an. »Bleibt dort, bis Verstärkung eintrifft, dann erklärst du meinen Leuten den Weg, okay?« Als er sah, dass Gracie sich erneut versteifte, schob er die Waffe in seine Armbeuge, umschloss mit der Hand ihr Kinn und hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn. »Du bleibst bei Clare und bist schön brav«, beschwor er sie. »Hast du mich verstanden, Gracie-Mädchen? Mommy und Daddy sind bald zurück.« Darauf drehte er sich um und hetzte mit langen Schritten zu dem Felsplateau.
Als er aus dem Wald in das gleißende Sonnenlicht auf der kahlen Lichtung gepirscht war, kniff er vor der ungewohnten Helligkeit die Augen zusammen. Sein Herz dröhnte in seinem Brustkorb. Ihm grauste vor dem, was sich ihm womöglich gleich enthüllen würde. Dann entdeckte er Emma, wütend verknäuelt mit Woodard auf dem Felsgrat. Sie lebt noch, sagte er erleichtert zu sich selbst, während er das Gewehr anlegte. Aber sie kämpfte um ihr Leben. Sie lag flach auf dem Rücken, ruderte mit Armen und Beinen, schlug blindlings um sich und versuchte
dabei angestrengt, unter ihrem Peiniger wegzukommen. Plötzlich gewahrte Woodard Elvis und rappelte sich benommen auf.
»Polizei, Woodard!«, brüllte Elvis. »Stehen bleiben oder ich schieße!«
Ebenso gut hätte er gegen eine Wand reden können. Als hätten sie ihn nicht gehört, gingen Emma und Grant nämlich erneut aufeinander los. Woodard warf sich auf sie. Elvis drückte auf den Abzug und erwischte Grant, allerdings war es nur ein Streifschuss. Woodard bäumte sich auf, taumelte vornüber, wobei Emma sich auf ihn stürzte und damit voll in die Schusslinie geriet.
Elvis fluchte gedämpft. »Bleib weg von ihm, Schätzchen«, zischte er nervös. »Verdammt noch mal, Em, nur einen kurzen Augenblick.«
Er war ein exzellenter Gewehrschütze gewesen - als er noch über zwei gesunde Hände verfügt und regelmäßig Schießübungen absolviert hatte. Inzwischen hantierte er ausschließlich mit einer Pistole und traute sich nicht mehr zu, einen Gegner mit einem Schnellfeuergewehr außer Gefecht zu setzen - jedenfalls nicht, solange dieser mit seiner zukünftigen Frau in eine dramatische Auseinandersetzung verwickelt war.
Auf einmal sah er, wie Woodard mit dem Arm ausholte und Emma einen mächtigen Schlag vor den Kopf verpasste. Wie eine Stoffpuppe sackte sie rücklings in den Staub, und Grant schwang sich auf sie, legte die Hände um ihren Hals.
Brodelnder Zorn explodierte in Elvis. » Woodard!« , brüllte er. Dann setzte er sich kaltblütig über diese Gefühlsregung hinweg - persönliche Befindlichkeiten seien kontraproduktiv, hatte Bragston ihm früher stets
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