Revanche - Exposure
haben.«
»Nein«, antwortete Elvis entschieden. »So läuft es mit Sicherheit nicht.« Er hob das Laken auf, schüttelte es aus und legte es fürsorglich um ihre Schultern. Dann packte er die Enden und zog Emma näher zu sich. »Das hier ist nicht New Orleans, Emma. Sondern eine Kleinstadt, wo es ein Fremder verdammt schwer hat, unentdeckt zu bleiben. In den größeren Städten ist das wesentlich einfacher. Die Anonymität, die Menschenmassen, der dichte Verkehr, da lässt sich einiges arrangieren. Glaub mir, ich weiß, wovon ich spreche.«
»Das heißt noch lange nicht, dass in einer Kleinstadt keine Verbrechen passieren.«
Wohl wahr. Kriminalität gab es überall. »Das sicher nicht. Aber ich werde einen Teufel tun und mein Leben nach irgendwelchen Eventualitäten ausrichten. Ich bin ein erfahrener Cop. Nicht irgendein Kleinstadt-Bulle, der sich wichtig tut. Und ich bin ausgesprochen gut in meinem Job, ob du es glaubst oder nicht. Ein Spitzencop.«
»Und damit kugelsicher?«
»Nein Schätzchen, ich werde erst gar nicht zur Zielscheibe. Überleg mal. Du hast selbst gesagt, dass Woodard nicht auf offener Straße losballert, sondern vorzugsweise ›Unfälle‹ inszeniert, die seine Opfer überraschend treffen. Und das ist bei einem Cop verdammt schwierig. Wir sind von Natur aus misstrauisch. Und haben unsere Umgebung immer im Blick. Ganz zu schweigen davon, dass Kriminelle sich nur höchst ungern mit uns anlegen. Die wissen nämlich, dass es ihnen auf der ganzen Linie Ärger einbringt.« Er grinste weich. »Entspann dich, Süße. Du hast angefangen, und ich denke nicht daran, jetzt wieder aufzuhören. Finde dich damit
ab, ich werde von nun an in deinem und Gracies Leben mitmischen.«
Er beugte sich vor und gab ihr einen flüchtigen Kuss. Dann hielt er sie auf Armeslänge von sich. »Am besten ziehst du dich jetzt an und holst Beanie.«
»Ich war noch nicht fertig, Cher …«
»Tut mir leid, Em. Wenn du weiter mit mir streiten willst, musst du bis nach Dienstschluss warten. Ich muss gleich los.«
Eine knappe halbe Stunde nach ihrer Rückkehr stand Elvis bei seiner Mutter auf der Matte. Wie er Emma schon erklärt hatte, wusste in Flannery Island jeder über jeden Bescheid, und wenn er gezielt Informationen brauchte, hatte er seine einschlägigen Quellen. Exakt zwölf Minuten, nachdem die Fähre angelegt hatte, war er auf dem neuesten Stand.
Die Hintertür schlug krachend auf und hinter ihm wieder zu. »Mom«, rief er in den Flur. »Bist du da?«
»Elvis?«, drang ihre Stimme aus dem Schlafzimmer. Sie klang überraschend schrill. Er hörte, wie sie durch den Gang tappte, und drehte sich um, als sie auf der Schwelle zur Küche auftauchte. Ein Blick in ihr Gesicht - und der letzte Funken Hoffnung, der wider besseres Wissen noch im hintersten Winkel seines Herzens schwelte, erlosch.
»Schön, dich zu sehen«, meinte Nadine gepresst. Sie hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. »Ähm, möchtest du einen Kaffee? Ich setz schnell welchen auf, ja? Das ist leider alles, was ich dir im Moment anbieten kann. Ich bin erst vor einer halben Stunde nach Hause gekommen.« Sie spähte zu ihrem Sohn, der sich grimmig vor ihr aufgebaut hatte und sie aus irisierend blauen Augen kalt
musterte. Zunehmend nervös, stammelte sie: »Memphis ist um diese Jahreszeit natürlich eine echte Sauna. Aber Graceland war - oh …«
»Du bist verhaftet, Mom. Weil du Gracie Sands entführt hast«, unterbrach Elvis ihren Redefluss. Er drückte sich vom Küchentresen ab, an dem er gelehnt hatte, und trat zu ihr. »Du hast das Recht zu …«
»Was?« Verständnislos blinzelte sie zu ihm hoch.
»Schweigen.« Er nahm seine Handschellen heraus, drehte seine Mutter von sich weg und bog ihr vorsichtig die Arme auf den Rücken. »Jede deiner Äußerungen kann vor Gericht gegen dich verwendet werden …«
»Elvis! Hast du sie noch alle?«
»Und du, Mom?« Er wirbelte sie zu sich herum. Sein dienstlich korrektes Auftreten war Wut und Bestürzung gewichen.
Nadine senkte beschämt den Blick. Sie kannte diese Miene; so hatte er sie immer angesehen, wenn sie ihn in seiner Jugend ausgesperrt hatte. Weil er genau wusste, dass sie wieder einen zahlenden Kunden bei sich hatte. Bei der Erinnerung überkamen sie tiefe Schuldgefühle.
»Kindesentführung ist ein verdammt schweres Verbrechen!«, schnaubte er. Die Handschellen mit seiner Prothese umklammernd, packte er ihren Oberarm mit seiner gesunden Hand und schüttelte sie. »Was zum Teufel hast du dir
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